IN MEINEM ELEMENT
SAUERSTOFF

»Beim Freitauchen liegt die Kraft in der Ruhe«

Lesezeit 2 Minuten

ProtokollKarolina Föst

FOTOGRAFIE Nazim Ahmed

Erscheinungstermin01. Dezember 2022

Sauerstoff ist für uns Menschen lebensnotwendig. Wir nehmen das Element beim Atmen mit der Luft auf. Aber wir atmen mehr, als wir müssten. Es ist so, als würden wir an die Zapfsäule fahren, obwohl der Tank noch nicht leer ist. Je mehr wir atmen, desto mehr Sauerstoff benötigen wir, denn das Atmen erfordert Energie. Beim Freitauchen kommt es darauf an, so wenig Sauerstoff wie möglich zu verbrauchen. Entspannung ist die Voraussetzung, um ohne zusätzliche Luft aus der Flasche in große ­Tiefen vorzustoßen. Deshalb versetze ich meinen Körper in einen Energiespar­modus und meinen Geist in einen Dämmerzustand. Ich tauche zunächst ein paarmal ab und auf. So leite ich den Tauchreflex ein, wodurch sich unter anderem der Herzschlag verlangsamt. Ich denke nichts, blende alles um mich herum aus – bei den Wettkämpfen Kameras, Schiedsrichter, Zuschauer. Auch Adrenalin erhöht den Sauerstoffverbrauch. Und der Vorsatz „Jetzt tauche ich besonders tief“ erst recht. Beim Freitauchen liegt die Kraft in der Ruhe. Ich versuche, mit möglichst wenigen Bewegungen in die Tiefe zu kommen. Bewegung kostet Sauerstoff. Es ist wie beim Treppensteigen: Wenn du zu schnell anfängst, bist du nach einem Stockwerk aus der Puste. Die meisten Menschen verbinden Atemluft mit Sauerstoff. Aber sie besteht nur zu 21 Prozent aus dem Element, der größte Teil ist Stickstoff. In der Tiefe wirkt er narkotisch, so als hätte man ein Bier zu viel getrunken. Der Rausch und meine Entspannung wurden mir bei meinem Rekordversuch 2012 zum Verhängnis: Ich bin beim Wiederaufstieg aus 253 Metern kurz eingeschlafen. Wie geplant stoppte bei 26 Metern mein Schlitten, der mich in die Tiefe gebracht und wieder hochgezogen hatte. Die Rettungstaucher dachten, ich sei ohnmächtig. Sie brachten mich ohne Dekompressionsstopp nach oben. Ohne diesen Stopp wird der im Blut gelöste Stickstoff als Gasbläschen freigesetzt, die die Blutgefäße verstopfen. Das Gehirn bekommt keinen Sauerstoff mehr. Ich habe multiple Schlaganfälle erlitten und lag im Koma. Die Prognosen der Ärzte waren schlecht, aber ich habe mich zurückgekämpft, ins Leben und ins Wasser. Zwei Jahre nach dem Unfall habe ich wieder mit dem Tauchen angefangen – zum reinen Vergnügen und nach wie vor ohne Luft aus der Flasche.

Herbert Nitsch gehört zu den erfolgreichsten Freitauchern. Er stellte 32 Weltrekorde in allen acht internationalen Apnoe-Disziplinen auf und tauchte ohne ­Pressluftflasche so tief wie kein anderer Mensch: 2012 schaffte er 253 Meter, erlitt dabei jedoch die Dekompressionskrankheit.

Fotos: herbertnitsch.com

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