Christian Kullmann ist Vorsitzender des Vorstandes von Evonik.

Christian Kullmann ist Vorsitzender des Vorstandes von Evonik.

Ein Gesetz, das dem Klima nicht hilft

Lesezeit 3 Minuten

Für die Energiewende be­nötigen wir große Mengen an bezahlbarem Strom aus erneuerbaren Quellen. Mit dem heutigen Fördersystem wird Deutschland an dieser Aufgabe scheitern.

vonChristian Kullmann

Nicht mehr als eine Kugel Eis koste die staatliche Förderung der erneuerbaren Energien den deutschen Durchschnittshaushalt im Monat. Mit diesem Vergleich rechtfertigte der Grüne Jürgen Trittin seinerzeit das Erneuerbare-Energien-Gesetz, kurz EEG, das den Regenerativen den Marktzugang ebnen und die Energiewende in Deutschland einleiten sollte.

Knapp 20 Jahre später hat das EEG die Stromerzeugung in Deutschland grundlegend verändert: Rund die Hälfte des Stroms kommt jetzt aus erneuerbaren Quellen. Das ist ein beachtlich hoher Anteil – und das zeigt, wie fundamental die Subventionierung die Energiewirtschaft verändert hat.

Bis heute finanzieren wir, die Privatkunden ebenso wie die Unternehmen, diesen Wandel mit riesigen Summen. Rund 20 Milliarden € pro Jahr kostet uns alle das EEG inzwischen, so viele Kugeln Eis kann niemand essen. Zugleich sind wir weit davon entfernt, ausreichend bezahlbaren Ökostrom herstellen zu können. Bis heute ist der Strom aus Sonne und Wind viel zu teuer und viel zu knapp, um die Energiewende in allen Sektoren tatsächlich schaffen zu können.

Auch die gerade erst verhandelte, inzwischen zehnte Novelle des Gesetzes kann nicht verhehlen, dass das EEG in seiner jetzigen Form aus der Zeit gefallen ist. Statt die Energiewende zu beschleunigen und die erneuerbaren Energien endlich in einen echten Wettbewerb zu entlassen, unterstreicht die Politik mit der Novelle nur ein weiteres Mal, welches formalbürokratische Dickicht hochkomplexer Regulatorik über die Jahre entstanden ist. Ein ums andere Mal werden die Vorgaben verkompliziert statt vereinfacht. Von einem wirksamen Instrument, das nachhaltigen Klimaschutz, eine wirtschaftlich erfolgreiche Transformation, eine sozial gerechte Kostenverteilung sowie echten Wettbewerb anregt: keine Spur.

»Wir brauchen ein neues, auf Transparenz und Effizienz ausgerichtetes Anreizsystem ohne
Mikrosteuerung und Überbürokratisierung.«

Christian Kullmann

Offensichtlich gibt es hier einen Zielkonflikt und eine breite Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Geht es nach dem Plan der Bundesregierung, sollen erneuerbare Energien 2030 insgesamt 65 Prozent des deutschen Strombedarfs decken. Diesem Ziel dient nun auch das gerade abermals verhandelte EEG, das den Ausbau von Wind-, Solar- und Bioenergie in den nächsten zehn Jahren beschreibt. Doch vom Ausbau – und da sind Experten sich weitgehend einig –hängt das Erreichen der 65 Prozent gar nicht ab. Vielmehr geht es darum, wie viel Strom 2030 und, mit Blick auf die Ziele der EU-Kommission, 2050 tatsächlich gebraucht wird.

Dabei geht das zuständige Wirtschaftsministerium von einem Stromverbrauch Deutschlands in zehn Jahren aus, der etwa so hoch bleiben wird wie heute, 2020. Natür­lich dürfen wir annehmen, dass Effizienz­gewinne in vielen Bereichen, auch bei diversen Chemieanlagen, den Bedarf senken werden. Daran arbeiten auch unsere Inge­nieure, denn Ressourceneffizienz ist die ­Basis unserer täglichen Arbeit.

Christian Kullmann ist Vorsitzender des Vorstandes von Evonik.

Christian Kullmann ist Vorsitzender des Vorstandes von Evonik.

FÖRDERUNG NEU DENKEN

Zugleich wird die Nachfrage im Zuge der Elek­tri­fizierung zahlreicher Sektoren anderswo kräftig steigen. Die Autoren des EEG unterschätzen diesen Anstieg. Die Elek­trifizierung, Stichwort Sektorenkopplung, wird Auswirkungen haben auf die Industrie ebenso wie auf Verkehr, Heizen und Wohnen. Hinzu kommt die geplante Erzeugung von Wasserstoff mittels Elektrolyse. Im Kern geht es darum, den Einsatz fossiler Kraft- und Brennstoffe zugunsten von grünem Strom deutlich zu reduzieren. Je besser das gelingt, desto größer wird der Bedarf an ebendiesem grünen Strom.

Folglich müssen wir jetzt die Energiewende weiterentwickeln. Wir brauchen ein neues, auf Transparenz und Effizienz ausgerichtetes Anreizsystem ohne Mikrosteuerung und Überbürokratisierung – und ohne die Befriedigung von Partikular­interessen. Ganz deutlich gesagt: Das Erneuerbare-­Energien-Gesetz muss weg!

Im Ziel, darin sind sich alle einig, geht es darum, Treibhausgasemissionen zu redu­zieren und zugleich eine Stromversorgung sicher und günstig zu gewährleisten. Nur wenn das gelingt, kann auch die Energiewende gelingen.

Sektoren wie Verkehr, Gebäude, Industrie und Landwirtschaft stehen vor der gewaltigen Aufgabe, bei der Senkung ihrer Emissionen an Tempo zulegen zu müssen, und das immer rascher, ohne ihre wirtschafts- und beschäftigungspolitische Rolle in unserer Volkswirtschaft zu verlieren. All diese Sektoren benötigen dazu vor allem CO2-freien, zu wettbewerbsfähigen Bedingungen produzierten Strom.

Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) hat 2019 in seiner „Roadmap Chemie 2050“ dargelegt, wie die Chemiebranche insgesamt einen substanziellen Beitrag
zur Reduzierung der CO2-Emissionen in Deutschland leisten kann. Dabei wurden zwei wesentliche Treiber benannt: die Entwicklung innovativer Prozesstechnologien und der radikale Umbau der Energieversorgung. Beides gehört zusammen. Ohne massenhaft verfügbare und kostengünstige erneuerbare Energie wird sich die Transformation weder finanzieren noch umsetzen lassen.

AMBITIONIERTE ZIELE DER EU

Laut Prognose in der VCI-Studie wird der Bedarf der chemischen Industrie an Strom bei einem vollständigen Verzicht auf fossile Energieträger um mehr als 1.000 Prozent wachsen. Ähnlich sieht es in der Stahl­industrie aus. Deshalb ist es so wichtig, die Erneuerbaren-Förderung komplett neu zu denken. Wir brauchen ein System, das den deutlich wachsenden Bedarf an erneuerbarem Strom effizient deckt. Und eine Politik, die diese Realität anerkennt. Zwar stellt die Bundesregierung einen Umstieg von der Subvention auf einen marktgetriebenen Ausbau der Erneuerbaren in Aussicht – ­jedoch erst für 2027. Das ist viel zu spät, erst recht angesichts der ambitionierten Ziele der Europäischen Union.

In seiner jetzigen Form ist das EEG schlichtweg wertlos. Die darin formulierten Instrumente sind von damals, heute brauchen wir mehr Kreativität – zumal die Zeit läuft. Die Energiewende und der Klimaschutz sind große Fortschrittsprojekte unserer Zeit, untrennbar miteinander verbunden. Wir dürfen sie nicht durch Regelungswut, Zögern und Zaudern ersticken.

Stattdessen brauchen wir Mut und Entschlossenheit, um die nötigen Korrekturen vorzunehmen. Nur wenn das gelingt, kann die Energiewende eines Tages zu einem deutschen Erfolgsmodell werden.

Foto: Bernd Brundert / Evonik

 

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