Johann-Caspar Gammelin ist Vorsitzender der Geschäftsführung von Evonik Nutrition & Care.

Johann-Caspar Gammelin ist Vorsitzender der Geschäftsführung von Evonik Nutrition & Care.

Neue Wege für nachhaltige Lebensmittel

Lesezeit 5 Minuten

Ernährung ist einer der wichtigsten Hebel für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen. Bei der Suche nach tragfähigen Lösungen sollten wir wissenschaftlich vorgehen und uns nicht von vermeintlich plausiblen Meinungen treiben lassen.

Von Johann-Caspar Gammelin

Wir wollen mehr, wir machen mehr, wir werden mehr: Die Bewohner von Schwellenländern steigern ihren Konsum, Industriestaaten wirtschaften intensiver, die Weltbevölkerung wächst. Das ist zunächst einmal keine schlechte Entwicklung. Sie zeugt von Wohlstand und dem Streben der Menschen nach einem ­guten Leben. Wir haben dabei in den vergangenen Jahrzehnten allerdings eine wichtige Überlegung vernachlässigt – vielleicht auch, weil sie damals noch nicht so drängend war wie heute: Wir werden nur dann gut leben können, wenn wir mit unserem Planeten gut umgehen. Hier müssen wir dringend nacharbeiten.

Ein gutes Leben – dazu gehört auch eine gesunde Ernährung. Aber können wir im Jahr 2050 fast zehn Milliarden Menschen gesund und gleichzeitig nachhaltig ernähren? Ich bin überzeugt: Wir können es. Und mehr noch: Wir müssen es! Weltweit agierende Unternehmen wie Evonik haben eine Verantwortung. Es geht hier nicht nur um Finanzkennzahlen; wir sind verpflichtet, zur Lösung globaler Herausforderungen beizutragen. Das tun wir mit aller Kraft: durch Technologie und das Wissen unserer Mit­arbeiter.

NEUE WEGE DER NAHRUNGSPRODUKTION ERSCHLIESSEN

Indem wir uns auf die Chancen unserer technologischen Entwicklungen fokussieren, setzen wir uns für ein gutes Leben der jetzigen und nachfolgenden Generationen ein. Darin sehen wir bei Evonik den Zweck unseres Tuns: Wir haben den Mut, Innovationen voranzutreiben, und verfügen über die finanziellen Mittel, sie umzusetzen. Unsere Gesellschaft muss neue Wege erschließen, Nahrungsmittel zu produzieren und zu konsumieren. Denn dahinter verbirgt sich ein bedeutender Hebel zur Verbesserung der Nachhaltigkeit.

Die Produktion von Lebensmitteln und die damit verbundene Tierhaltung tragen zum Klimawandel bei. Zugleich ernähren sich die Menschen in vielen Ländern ungesund oder haben das Maß verloren. Die Folgen von Fehlernährung, wozu auch Übergewicht gehört, sind mittlerweile dramatischer als die von Mangelernährung. Inkrementelle Verbesserungen des Systems werden nicht mehr ausreichen. Wir müssen grundsätzlich umsteuern bei Erzeugung und Konsum von Nahrungsmitteln.

»Inkrementelle Verbesserungen des Systems werden nicht mehr ausreichen. Wir müssen ­grundsätzlich umsteuern bei Erzeugung und ­Konsum von Nahrungsmitteln.«

Diese Zusammenhänge werden auch in den jüngsten Berichten von Wissenschaftlern und Regierungsorganisationen klar hervorgehoben. Die Experten sind sich einig: Ernährung, Gesundheit und Nachhaltigkeit hängen eng miteinander zusammen. Bewusste Ernährung und Nachhaltigkeit bei der Erzeugung von Nahrungsmitteln sind die Schlüssel für eine gute Zukunft auf der Erde.

Johann-Caspar Gammelin ist Vorsitzender der Geschäftsführung von Evonik Nutrition & Care.

Johann-Caspar Gammelin ist Vorsitzender der Geschäftsführung von Evonik Nutrition & Care.

Bei diesen Themen helfen uns aber weder Dogmen noch vorschnelle Meinungen. Allein wissenschaftliche Erkenntnisse liefern die notwendige Faktenbasis für gute Entscheidungen. Sind diese Erkenntnisse immer eindeutig? Natürlich nicht. Das zeigt sich schon bei der Frage nach der sinnvollsten Art der Lebensmittelproduktion. Echt bio, echt gut? So einfach ist es wissenschaftlich gemessen eben nicht. Viele Standards für ökologisch erzeugte Lebensmittel geben Regeln für die Zusammensetzung von Tierfutter vor, die zu mehr Ressourcenverbrauch und zu deutlich höheren Emissionen von Klimagasen und Stickstoff führen als in der konventionellen Landwirtschaft.

Ähnlich verhält es sich mit modernen Fleischersatzprodukten. Viele sehen sie schon als Heilsbringer, um nachhaltig die Nachfrage nach Proteinen zu decken. Doch ihre Ökobilanz fällt oft schlechter aus als die von Protein aus Fisch, Hühnern oder Eiern. Ein Beispiel: Setzt man dem Tierfutter Amino­säuren zu, dann verwerten Hühner, Schweine, Rinder, Milchkühe oder auch Fische ihr ­Futter besser. Das Nährstoffangebot kann den Bedürfnissen der Tiere angepasst werden.

Die Folge: Es muss weniger gefüttert werden, Ressourcen, die für den Anbau von Soja oder Futtergetreide erforderlich wären, werden geschont. Netto wurden 2018 auf diesem Weg durch unsere Aminosäuren rund 62 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente eingespart. Das entspricht etwa den Treibhausgasemissionen Portugals. Wenn Tiere durch einen verbesserten Stoffwechsel weniger Futter benötigen, wird zugleich auch viel weniger Ackerland gebraucht. Im Amazonasgebiet standen vor wenigen Monaten große Flächen des wertvollen Ökosystems aufgrund von Brand­rodungen in Flammen, vor allem, um Platz für Soja zur Futtermittelherstellung zu schaffen. Die Folgen für die Biodiversität sind klar. Der weltweite Einsatz unserer Fütterungskonzepte kann diese Folgen deutlich reduzieren.

Darüber hinaus führt eine fortschritt­liche Fütterung auch zu einer erheblich effizienteren Verwertung von Stickstoff. Der übermäßige Eintrag von Stickstoff belastet unsere Umwelt erheblich: Nitrat im Grundwasser, umgekippte Seen und die Algen­blüte in Küstengewässern sind offensichtliche Zeichen hierfür. Zudem erzeugen Mikro­organismen im Boden aus überschüssigem Stickstoff Treibhausgase. Jede Reduzierung hilft, das Ökosystem zu entlasten.

DER WOCHENMARKT ALLEIN IST KEINE LÖSUNG

Diese Beispiele zeigen: Bei der Frage, wie wir in Zukunft gesunde Nahrungsmittel produzieren, darf es nicht darum gehen, was wir glauben oder womit wir uns wohlfühlen. Wir müssen wissenschaftlich vorgehen, den ökologischen Fußabdruck von Nahrungsmitteln und ihren Produktionssystemen genau berechnen, um dann eine kluge Entscheidung zu treffen. Die Frage, wie wir gesund und nachhaltig leben können, lässt sich nicht einfach beantworten, etwa indem wir die Konsumenten zum Wochenmarkt schicken oder zum nächsten Bauernhof. Die Antwort ist deutlich komplexer.

Bei Evonik haben wir über Jahrzehnte so tiefe Einblicke in die Zusammenhänge der Produktion tierischen Proteins und in die moderne Tierhaltung gewonnen, so viel Wissen über Tier- und Ernährungsphysiologie aufgebaut, dass wir heute in der Lage sind, ganzheitliche Lösungen anzubieten. Die Zukunft der landwirtschaftlichen Tierhaltung trägt den Namen Precision Livestock Farming.

Evonik wird künftig viel mehr digitale und vernetzte Technologien in der Landwirtschaft einsetzen, mit denen wir Daten sammeln und analysieren, sodass es uns möglich ist, Produktionssysteme noch effizienter und besser zu machen. Gesunde menschliche Ernährung fängt bei gesunder Tierernährung an. Mithilfe von Probiotika leisten wir hierzu einen wichtigen Beitrag. Wir sind überzeugt: Antibiotika sollten nicht prophylaktisch als Wachstumsförderer in der Tierhaltung eingesetzt werden, sondern nur noch therapeutisch bei Erkrankungen. Mit modernen, noninvasiven diagnostischen Methoden können wir zusätzlich den Gesundheitszustand von Tieren kontinuierlich überwachen und ihre Ernährung entsprechend anpassen.

All das stimmt mich zuversichtlich. Wenn die Menschheit Fehlentwicklungen entschieden angeht, sich dabei auf wissenschaftliche Fakten konzentriert und technologische Innovationen entschlossen nutzt, kann unser Planet sogar zehn Milliarden Menschen im Jahr 2050 ernähren, ohne dass wir weiter Raubbau an den natürlichen Ressourcen betreiben.

Foto: Torsten Stojanik/Evonik

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