KLEINE ALGEN, GROßE WIRKUNG

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Omega-3-Fettsäuren sind wichtig für die Gesundheit von Herz, Gehirn und Augen. Doch mehr als 80 Prozent aller Menschen sind nicht ausreichend damit ver­sorgt. Evonik will diese Lücke mit innovativen Quellen ­schließen – und zugleich die Ozeane schützen.

TEXTJULIA BORN UND MICHAEL STANGE

Rindereintopf, Wurstsalat und Hühnercremesuppe – als Apollo 11 vor 50 Jahren Kurs auf den Mond nahm, sollte die Besatzung auf irdische Köstlichkeiten nicht verzichten. Transport und Zubereitung waren für die US-Weltraumbehörde NASA technisches Neuland: Die Mahlzeiten waren teilweise gefriergetrocknet in Plastikbeuteln portioniert, erst mit Wasser vermischt wurden sie genießbar. So versorgten sich Neil Armstrong, Buzz Aldrin und Michael Collins auf ihrer achttägigen Mission.

Das Ziel der NASA war jedoch schon damals ein noch größeres: mehrmonatige Expeditionen ins All und vielleicht sogar irgendwann die Erkundung des Mars. Es galt also eine wichtige Frage zu beantworten: Wie können Astronauten sich während solcher Missionen gesund ernähren?

Mitte der Achtzigerjahre begann die NASA in zahlreichen Forschungskooperationen die Suche nach diesen „Superfoods“, also lebensnotwendigen Nährstoffen, die unbedingt mit ins All müssen. Dabei stießen die Wissenschaftler auf marine Mikroalgen – die künftig auch für die Ernährung auf der Erde eine maßgebliche Rolle spielen könnten.

Der von den NASA-Wissenschaftlern im Nordpazifik entdeckte Algenstamm, Schizochytrium sp., gehört zu den reichhaltigsten Quellen der essenziellen Omega-­3-Fettsäuren EPA (Eicosapentaensäure) und DHA (Docosa­hexaensäure). Der mikroskopisch kleine Einzeller ernährt sich von Pflanzenresten und produziert aus eigener Kraft große Mengen EPA und DHA. Diese mehrfach ungesättigten Fettsäuren schützen Herz, Hirn und Augen und wirken sich positiv auf unser seelisches Wohlbefinden aus. In der Schwangerschaft sind sie für die neuronale Entwicklung des Embryos besonders wichtig.

Menschen können wie auch die meisten Tiere
EPA und DHA nicht selbst bilden, sondern müssen sie über die Nahrung aufnehmen: vor allem durch fett­reiche Fische wie Sardinen, Makrelen oder Lachse.

Aquakultur Norwegen
Aquakulturen wie diese in Norwegen benötigen große Mengen an Omega-3-haltigem Fischfutter.
Forscher extrahiert Öl aus Algen
Kessel mit fermentierten Algen
In Blair (Nebraska) reifen Mikroalgen in Kesseln heran. Ihr Öl wird anschließend extrahiert (oberes Bild) und zu Fischfutter verarbeitet.

Pflanzliche Öle aus Raps und Leinsamen enthalten zwar ebenfalls eine Omega-3-Fettsäure, nämlich Alpha-Linolen­säure (ALA). Diese kann der menschliche Körper jedoch nur in sehr geringem Maße in EPA umwandeln.

Um den Bedarf an den Omega-3-Fettsäuren EPA und DHA zu decken, rät die FAO, die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen, neben pflanz­lichen Ölen ein- bis zweimal pro Woche Fisch zu essen. Der Bedarf an EPA und DHA liegt laut neueren wissenschaftlichen Studien bei bis zu 500 Milligramm täglich. Ob man aktuell über genug Omega-3 verfügt, lässt sich mithilfe eines Bluttests ermitteln: Er misst den Gehalt an Fettsäuren in der Zellmembran der roten Blutkörperchen. Ideal ist ein Anteil von acht Prozent oder höher.

Lediglich acht Prozent aller Menschen erreichen diesen Wert. Sie leben vorwiegend in Norwegen, Japan oder Grönland, wo traditionell viel Fisch gegessen wird. „In vielen westlichen Ländern weisen große Teile der Bevölkerung zu niedrige EPA- und DHA-Werte auf“, sagt Clemens von Schacky, Leiter der Präventiven Kardio­logie des Klinikums der Ludwig-Maximilians-Universität München: Industriell verarbeitete Lebensmittel prägen den Speiseplan, Fisch kommt eher selten auf den Tisch. Nordamerika ist in Bezug auf Omega-3-Fettsäuren ebenso unterversorgt wie Großbritannien oder Deutschland. „Niedrige EPA- und DHA-Spiegel sind verbunden mit zahlreichen Gesundheitsproblemen. Dazu gehören unter anderem eine geringere Lebens­erwartung und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aber auch kognitive Beeinträchtigungen, zum Beispiel ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom) und die majore Depression“, sagt von Schacky, der zusammen mit dem US-amerikanischen Wissenschaftler Bill Harris den Omega-3-Bluttest entwickelt hat.

ÜBERSTRAPAZIERTE FISCHBESTÄNDE

So wichtig die Fettsäuren für die Ernährung sind, so schwierig gestaltet sich die Versorgung. Sollen sieben Milliarden Menschen täglich mit 500 Milligramm versorgt werden, sind insgesamt 1,27 Millionen Tonnen EPA und DHA nötig. Rechnet man alle Omega-3-­Quellen zusammen – Raps, Walnuss, Fisch –, dann stehen je nach Szenario aber nur zwischen 400.000 und 800.000 Tonnen zur Verfügung.

Und insbesondere die Fischbestände sind bereits heute überstrapaziert. Aquakulturen könnten dazu bei­tragen, die Versorgungslücke zu schließen – wenn sie nachhaltig betrieben würden. Vor allem Lachse können hier einen großen Beitrag leisten. Der silbern schillernde Raubfisch ist für den Menschen einer der ergiebigsten Lieferanten für Omega-3. Pro 100 Gramm kann sein Fleisch rund 2,5 Gramm EPA und DHA enthalten.

In freier Wildbahn ernähren sich die Raubfische von kleineren Fettfischen wie Sardinen, Sardellen oder Heringen, die ihrerseits bevorzugt Krill fressen. Der Krill ernährt sich von Algen, die Omega-3-Fettsäuren produzieren. Über diesen Weg gelangen EPA und DHA in den Magen der Lachse. In Aquakultur werden die beliebten Speisefische mit Pellets gefüttert, die Fischmehl und Omega-3-reiches Fischöl enthalten.

Eine Methode, die an ihre Grenzen stößt: Jedes Jahr werden rund 16 Millionen Tonnen Wildfisch gefangen, um daraus fünf Millionen Tonnen Fischmehl und eine Million Tonnen Fischöl zu gewinnen. Für die Produk­tion eines Kilogramms Lachs sind zwei Kilogramm Wildfisch erforderlich.

MIKROALGEN GEGEN DIE ÜBERFISCHUNG DER MEERE

Die Ozeane können das schon lange nicht mehr leisten: Mehr als 60 Prozent der weltweiten Fischbestände sind laut FAO maximal befischt, 30 Prozent gelten sogar als überfischt. Nur rund zehn Prozent befinden sich in einem gesunden Zustand. Inzwischen sind die Vorkommen so stark dezimiert und die Preise für Wildfisch so stark gestiegen, dass der Fischölanteil im Futter für Aquakulturen zu einem Großteil durch pflanzliche Öle ersetzt wurde. Und die liefern kein EPA und DHA. Dadurch hat sich der Omega-3-Gehalt im Lachs in den vergangenen zehn Jahren bereits halbiert. Der Lachs enthält also immer weniger von dem, was ihn für den Menschen so gesund macht. Zudem bremsen die begrenzten Mengen an Fischöl auch das Wachstum der Aquakultur und damit insgesamt die Verfügbarkeit an Fisch.

Wie lässt sich die Versorgungslücke schließen, ohne die Ozeane weiter durch industriellen Fischfang zu belasten? Forscher des Evonik-Konzerns und des niederländischen Unternehmens DSM sind dieser Frage nachgegangen und haben dabei auch auf Forschungsergebnisse der NASA zurückgegriffen, die auf die marinen Mikroalgen gestoßen war. Warum nicht die Nahrungskette verkürzen und mithilfe des nordpazifischen Algenstamms eine innovative, nachhaltige Omega-3-Quelle erschließen?

Mehr als 2.000 Kilometer vom Nordpazifik entfernt ist das erstmals im industriellen Maßstab gelungen: In Blair, im US-Bundesstaat Nebraska, wabert in haus­hohen Kesseln eine ockerfarbene Algenbrühe. Sie ist das Ergebnis einer mehrjährigen Zusammenarbeit von DSM und Evonik im Joint Venture Veramaris.

Gemeinsam entwickelten die Forscher ein Fermentationsverfahren, mit dem sie EPA und DHA direkt aus der Mikroalge gewinnen können. Das Ergebnis: ein Algen­öl mit mehr als 50 Prozent EPA- und DHA-Gehalt. Fischöl enthält je nach Saison und Fanggebiet 14 bis 28 Prozent. „Unser Algenöl ist die Antwort auf den Ruf der Industrie nach einer nachhaltigen Quelle der Omega-­3-Fettsäuren“, sagt Karim Kurmaly. Er ist Geschäftsführer von Veramaris. „Ein Kilo unseres Produkts enthält die gleiche Menge EPA und DHA, die aus 60 Kilo Fisch gewonnen wird.“

Um an das kostbare Öl zu gelangen, müssen die Forscher die Algenzellen zunächst vermehren, das heißt zum Wachsen bringen. Dazu benötigen diese eine Nährflüssigkeit, die verschiedene Makroelemente (beispielsweise Stickstoff, Phosphor, Kalium, Calcium), Spurenelemente und Vitamine enthält. Außerdem brauchen die Algenzellen neben Sauerstoff zum Atmen eine Zuckerlösung auf Basis von Maisstärke als Energie- und Kohlen­stoffquelle. Etwa eine Woche lang bleibt die Algen­brühe in den Fermentern, dann ist genug Öl vorhanden, um es aus den Algenzellen zu extrahieren. In einem eigens für diesen Zweck entwickelten Aufarbeitungsverfahren trennen die Forscher das Öl aus der wässrigen Fermentationsbrühe ab. Die Herausforderung besteht darin, eine hohe Reinheit des Öls bei ­möglichst niedrigen Verlusten zu erzielen und zu verhindern, dass das Endprodukt ranzig wird.

Karim Kurmaly

»Unsere Algenöl­produktion liefert so ­viel EPA und DHA, wie in ­1,2 ­Millionen Tonnen Wildfisch ent­halten sind.«

KARIM KURMALY

GESCHÄFTSFÜHRER VERAMARIS

DAS ZIEL: FISCHFUTTER OHNE FISCHÖL

In große Tanks abgefüllt, macht sich das Öl dann per Lastwagen und Schiff auf den Weg zu den Futtermittelproduzenten. Das Algenöl aus Blair kann rund 15 Prozent des Bedarfs der weltweiten Lachszucht­industrie an EPA und DHA decken. „Für diese Menge müssten jährlich 1,2 Millionen Tonnen Wildfisch gefangen werden“, sagt Kurmaly. Umgerechnet bleibt den Weltmeeren so eine Fangmenge erspart, die die jähr­liche Entnahme von Fisch aus dem Mittelmeer übersteigt.

Was den Lachsen schmeckt, sollen bald auch andere Fische fressen: Veramaris will in den kommenden Jahren Farmen beliefern, die Forellen, Doraden, Brassen und Garnelen züchten. Das große Ziel: Futter für Aquakulturen soll eines Tages ganz ohne Fischöl auskommen. Parallel dazu beschreitet Evonik einen zweiten Weg, um den weltweiten Omega-3-Mangel zu beheben. Wer nicht ein- bis zweimal pro Woche Fisch essen möchte oder kann, hat die Möglichkeit, seinen Omega-3-­Bedarf über Nahrungsergänzungsmittel zu decken. Kapseln aus Fischöl dominieren den Nahrungsergänzungsmittelmarkt in Drogerien und Apotheken.

Frischer Fisch
Fischverkauf
Darf’s ein bisschen mehr sein? Wo viel fetter Fisch wie Makrele oder Lachs gegessen wird, herrscht keine Mangel­versorgung mit Omega-3-Fettsäuren.

AVAILOM®-PULVER VERBESSERT OMEGA-3-AUFNAHME

Um auch bei Nahrungsergänzungsmitteln die begrenzte Ressource Fischöl so effizient wie möglich zu nutzen, hat Evonik eine Methode entwickelt, die Aufnahme von Omega-3 im menschlichen Körper zu verbessern. „Damit muss ein Mensch weniger Fischöl aufnehmen, um den gleichen Effekt zu erzielen“, sagt Christopher Studte, im Geschäftsgebiet Health Care von Evonik zuständig für New Health Ingredients.

Alge unter Mikroskop
Unterm Mikroskop: die Alge Schizochytrium sp.

Das Nahrungsergänzungsmittel der zweiten Generation heißt AvailOm® – ein Pulver, das sich zu kleinen Tabletten pressen lässt, die leicht zu schlucken sind, und die Verträglichkeit für den Verbraucher verbessert. Die Forscher führen Omega-3 mit der essenziellen Aminosäure Lysin zu einem Komplex zusammen. Das Pulver lässt sich in großer Menge in Tabletten oder Hartkapseln verarbeiten und enthält mindestens 45 Prozent EPA und DHA. „Das ist mehr als bei jedem anderen pulver­förmigen Produkt auf dem Markt“, rechnet Studte vor. „Eine einzige kleine Tablette ermöglicht die gleiche effektive Aufnahme von Omega­-3-Fettsäuren wie zwei große Fischölkapseln.“

Das liegt an der besonderen Zusammensetzung des Produkts: Anders als in herkömmlichen Fischölkapseln, in denen die Omega-3-Fettsäure als Ester vorliegt, stellt AvailOm® diese direkt als Fettsäure-Aminosäure-­Komplex zur Verfügung. Der Körper muss die Bestandteile der Tablette nicht extra umwandeln. „Dadurch kann der Körper EPA und DHA drei- bis viermal so gut aufnehmen“, sagt Studte. „AvailOm® ist sogar dann effektiv, wenn es auf nüchternen Magen oder im Rahmen einer fettarmen Diät eingenommen wird.“

Die Omega-3-Fettsäuren in AvailOm® stammen derzeit noch von Fischen aus zertifizierter, nachhaltiger Fischerei. Ende des Jahres soll auch ein Produkt auf Algenbasis auf den Markt kommen – zum Schutz der Meere und ihrer Bewohner.

Wie Omega-3-Fettsäuren wirken

Einmal vom Körper aufgenommen, werden die Omega-3-­Fettsäuren als essenzielle Bestandteile in der Zellmembran eingebaut. Diese enthält auf der Innen- und Außenseite Moleküle, sogenannte Phospho­lipide. Die Omega-3-Fettsäuren dringen in die Phospholipidmoleküle ein und verändern dadurch die Fluidität und die Aktivität innerhalb der Membran. Dazu produzieren die Fettsäuren verschiedene Signalmoleküle, die den Genen des Körpers mitteilen, welche Proteine sie herstellen sollen. Dies zieht vielfältige Wirkungen im Körper nach sich: Omega-3-Fettsäuren verbessern den Blutfluss, senken den Blutdruck und wirken sich positiv auf die Blutfettwerte aus, indem sie den ­Cholesterin- und Triglyceridspiegel senken. Und sie sind gut für das Immunsystem: Sie dienen als Ausgangssubstanz für Eicosanoide (hormonähnliche Transmitter), die Entzündungs- und Abwehrreaktionen des Körpers beeinflussen.

Wirkung von Omega-3-Fettsäuren Grafik

Fotos: Christian Lohfink/Upfront, Sergey Ponomarev/The New York Times/Redux/laif (3), Veramaris (4)
Illustration: Maximilan Nertinger

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