NACHHALTIG SATT

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Fast zehn Milliarden Menschen werden 2050 auf der Erde leben – doch wovon? Um die Weltbevölkerung gesund satt zu bekommen und zugleich die natürlichen Ressourcen nicht zu überlasten, ist rasches Umsteuern erforderlich.

TEXTINGA OLFEN

Der gute alte Sonntagsbraten soll es richten. Dazu beitragen, dass auch noch in 30 Jahren genug Nahrung für alle Menschen da ist. Trotz wachsender Weltbevölkerung. Trotz fortschreitender Erderwärmung. „Wir müssen zum Prinzip des Sonntagsbratens zurück“, fordert Alexander Popp. Was der Biologe damit meint: Wir sollten Fleisch und Wurstwaren bewusster genießen – und vor allem seltener. Popp arbeitet am Potsdam-Institut für Klimafolgen­forschung und ist einer von mehr als 100 Verfassern des kürzlich veröffentlichten Sonderberichts des Weltklimarats IPCC. Dort ist unter anderem zu lesen, dass sich der weltweite Pro-Kopf-Verbrauch von Fleisch seit den 1960er-Jahren mehr als verdoppelt hat.

Die meisten Wissenschaftler sind sich einig: Ernährung ist ein Schlüsselthema des 21. Jahrhunderts, Fleisch dabei nur ein Aspekt. Wie wir uns ernähren, wo unsere Lebensmittel herkommen, wird darüber entscheiden, wie wir künftig leben. Heute bevölkern rund 7,7 Milliarden Menschen die Erde. Mittlerweile leiden laut Weltgesundheitsorganisation etwa zwei Milliarden an Fehl­ernährung – vor allem in den Industrieländern. Mehr als 820 Millionen hungern.

MEHR WOHLSTAND, MEHR KONSUM

Mit einem Blick in die Zukunft wird die Herausforderung noch deutlicher: Im Jahr 2050 könnten rund zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben, um ein Drittel mehr als heute. Und die dürften um die Hälfte mehr Nahrungsmittel konsumieren als die heutige Weltbevölkerung. Die Einkommen in Schwellen- und Entwicklungsländern nehmen zu, und mit steigendem Wohlstand wächst auch der Pro-Kopf-Verbrauch von Lebensmitteln.

Gemüseanbau unter LED-Licht
Leuchtendes Vorbild? In einer Halle im US-Bundesstaat New Jersey wächst Gemüse unter LED-Strahlern.
Kleinbäuerin aus Ghana
Die Landwirtschaft Afrikas, wie hier in Ghana, ist geprägt von Kleinbauern.

Kann die Erde das leisten? Ja, sagen Experten. In einem Anfang dieses Jahres erschienenen Bericht der EAT-Lancet-Kommission zur Zukunft der Welternährung heißt es: „Zehn Milliarden Menschen mit einer gesunden Ernährung (…) zu versorgen ist beides: möglich und notwendig.“ Allerdings bedürfe es eines „radikalen Wandels“. Die Kommission, gegründet auf Initiative des renommierten britischen Medizinjournals The Lancet, ist sich einig, dass sich unsere Ernährungsgewohnheiten grundsätzlich und weltweit ändern müssten. Die Menschheit sollte demnach doppelt so viel pflanzliche Nahrung (Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, Nüsse) zu sich nehmen wie heute und zugleich den Verzehr tierischer Lebensmittel (Fleisch, Eier) und Zucker mindestens halbieren.

Um zu verstehen, warum unserem Speiseplan ein solcher Einfluss zugetraut wird, muss man wissen, dass die Nahrungsproduktion bereits heute 70 Prozent des verfügbaren Trinkwassers verbraucht und für 20 bis 30 Prozent des Ausstoßes von sogenannten Treibhausgasen verantwortlich ist.

HÖHERE EFFIZIENZ IN DER PRODUKTION

Nur gut die Hälfte aller weltweit produzierten pflanzlichen ­Kalorien wird unmittelbar vom Menschen konsumiert. Mehr als ein Drittel aller Nutzpflanzen dient als Tierfutter (siehe hier). Von 100 Kalorien aus Pflanzen, die verfüttert werden, sind in der Milch, die wir trinken, noch 40 Kalorien vorhanden, in Eiern 22, in Rindfleisch drei. „Lebensmittel sind der wirkungsvollste Hebel zur Optimierung der menschlichen Gesundheit und der ökologischen Nachhaltigkeit auf der Erde“, heißt es 2016 auch in einem Report der FAO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen.

Iberische Schweine in Freilandhaltung
Freilandhaltung: Diese iberischen Schweine ernähren sich von Eicheln.

Ähnlich formuliert es das World Resources Institute (WRI), das in seinem jüngsten Report „Creating a Sustainable Food Future“ (2019) eine drastische Steigerung der Effizienz im Hinblick auf die Nutzung natürlicher Ressourcen anmahnt. Nur durch gesteigerte Produktivität könnten die Ziele des Umweltschutzes mit denen der Lebensmittelverfügbarkeit in Übereinstimmung gebracht werden. Konkret heißt das: Mehr Ernteerträge, mehr Milch- und mehr Fleischproduktion pro Hek­tar, pro Tier und pro Kilogramm Dünger sind erforderlich. „Wenn die heutige Produktionseffizienz bis 2050 konstant bliebe, müsste der größte Teil der verbleibenden Wälder der Welt abgeholzt werden, um den Planeten zu ernähren.“

Innovative Technologien, aber auch eine intensivere globale Zusammenarbeit sind die Voraussetzung dafür, die Produktivität zu steigern und zugleich Ressourcen zu schonen. Das WRI nennt in seinem Bericht die wichtigsten Herausforderungen: „Um zu verhindern, dass noch mehr Landfläche in Acker umgewandelt wird, brauchen wir bedeutende Verbesserungen bei Futterqualität und Weidemanagement.“

In der Tierzucht zielen neue Ansätze darauf ab, die sogenannte Feed-Conversion-Rate von Zuchtvieh und Geflügel zu verbessern: Je effektiver die Tiere ihr Futter verwerten, desto weniger Pflanzen müssen für ihre Ernährung angebaut werden. In Aquakulturen, die die Versorgung mit Fisch sicherstellen sollen, setzen sich Futteralternativen zu Fischmehl durch, dessen Produktion die natürlichen Bestände stark beansprucht. Werde die Produktion von Fisch nachhaltiger, könne sie deutlich gesteigert werden, so der WRI-­Report, sodass es möglich würde, mehr Menschen mit wichtigen Pro­teinen zu versorgen.

Fangflotte vor der Küste Senegals
Die Fischgründe vor der Küste Senegals sind das Ziel internationaler Fangflotten.

»Zehn Milliarden Menschen zu versorgen ist möglich und notwendig.«

EAT-LANCET-KOMMISSION
Indischer Rinderzüchter mit Rindern
Indien ist der größte Exporteur von Rindfleisch – vor Brasilien und Australien.

Einen weiteren Hebel sieht das WRI im Eindämmen der Verschwendung von Lebensmitteln, denn längst nicht alle Nahrung, die produziert wird, dient am Ende ihrem eigentlichen Zweck – der Ernährung von Menschen. Bis zu 30 Prozent der weltweit produzierten Lebensmittel landen der EAT-Lancet-Kommission zufolge im Müll. Weil sie beim Transport verderben. Weil sie falsch gelagert werden. Weil sie wegen Schönheitsfehlern aussortiert werden, bevor sie im Supermarkt landen. Oder weil Konsumenten zu große Mengen kaufen und die Einkäufe nicht sachgerecht verarbeiten oder lagern.

Viele Bewohner reicher Länder können sich das leisten. Es ist ja genug da. Während im östlichen Afrika fast ein Drittel der Bevölkerung zu wenig zu essen hat, werden die Menschen in den Industrienationen im Durchschnitt immer dicker. Ein erwachsener Mann in Afghanistan nimmt im Durchschnitt täglich 2.100 Kilokalorien zu sich, ein Deutscher 3.500, ein US-Amerikaner mehr als 3.600. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt einem Mann mittleren Alters bei moderater körperlicher Aktivität 2.500 bis 2.800 Kilokalorien pro Tag.

Rund 1,9 Milliarden Menschen gelten weltweit als übergewichtig. Mehr als 600 Millionen davon sind sogar adipös, also fettleibig, das ist jeder achte Erwachsene. Die Konsequenzen für die Gesundheit sind erheblich: In einer internationalen Studie mit knapp vier Millionen Teilnehmern belegten Forscher um den Epidemiologen Emanuele Di Angelantonio von der Universität Cambridge einen direkten Zusammenhang zwischen Übergewicht und einer geringeren Lebenserwartung.

Salaternte auf kalifornischer Biofarm
Salaternte auf einer kalifornischen Biofarm: Die USA zählen zu den größten Erzeugern von Ökolebensmitteln.

DAS BESTE AUS ZWEI ANSÄTZEN

Über den besten Weg zu einer produktiveren und nachhaltigeren Erzeugung von Lebensmitteln streiten sich die Wissenschaftler. In der konventionellen Landwirtschaft lassen sich die Erträge mit mehr Mechanisierung, modernen Bewässerungsmethoden und Kunstdünger sowie durch den Einsatz gentechnischer Methoden erhöhen. Digitalisierung ist hier ein weiterer Baustein: Schon heute liefern Drohnen Echtzeitbilder von Vieh und Feldern und ermög­lichen es, Wasser, Nährstoffe und Schädlingsbekämpfungsmittel genau dorthin zu bringen, wo sie benötigt werden. Sensoren sammeln Daten zu Wetter und Pflanzenwachstum, zu Bodenqualität und Tiergesundheit. Sie sollen sicherstellen, dass der Ertrag maximiert wird und der Ausschuss minimiert.

Befürworter einer lokalen und ökologischen Landwirtschaft gehen dagegen davon aus, dass die unzähligen Kleinbauern weltweit ihre Erträge allein schon erhöhen können, indem sie die Fruchtbarkeit der Böden durch den Einsatz von Kompost verbessern oder Pflanzenarten sinnvoll kombinieren. Fortschritte in der Landtechnik kämen dann noch hinzu. „Beide Ansätze bieten Lösungen“, sagt Jonathan Foley, Professor für Fragen globaler Nachhaltigkeit an der Universität Saint Paul in Minnesota, „keine von beiden bringt uns allein zum Ziel. Wir täten gut daran, das Beste beider Ansätze miteinander zu verbinden.“

Kräfte zu bündeln fordert auch Rajiv Shah, Präsident der Rocke­feller Foundation und Mitglied des Weltwirtschaftsforums: „Eine neue Lebensmittelrevolution hat das Potenzial, unsere Familien zu ernähren und unseren Planeten zu erhalten. Aber um die größten Probleme der Welt zu lösen, müssen wir die gemeinsamen Kapazitäten ausbauen.“

Fotos: Christian Lohfink/Upfront, George Steinmetz, Nana Kofi Acquah/The New York Times/Redux/laif, Gunnar Knechtel/laif, Pierre Gleizes/REA/laif, Getty Images, George Steinmetz

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