Harmen Dekker, 50, ist Vorsitzender des Europäischen Fachverbands Biogas in Brüssel. Der EBA vertritt die Interessen von mehr als 200 Mitgliedern aus Europa und anderen Teilen der Welt. Auch Evonik ist Mitglied. Der Verband mit Sitz in Brüssel setzt sich für die Anerkennung von Biomethan und anderen erneuerbaren Gasen als nachhaltige, bedarfsgerechte und flexible Energiequellen ein. Dekker war fast 15 Jahre lang Manager und Berater im Nachhaltigkeitsbereich. Vor seiner Tätigkeit beim EBA hat er für mehr als fünf Jahre in der Biogasbranche gearbeitet.

Harmen Dekker, 50, ist Vorsitzender des Europäischen Fachverbands Biogas in Brüssel. Der EBA vertritt die Interessen von mehr als 200 Mitgliedern aus Europa und anderen Teilen der Welt. Auch Evonik ist Mitglied. Der Verband mit Sitz in Brüssel setzt sich für die Anerkennung von Biomethan und anderen erneuerbaren Gasen als nachhaltige, bedarfsgerechte und flexible Energiequellen ein. Dekker war fast 15 Jahre lang Manager und Berater im Nachhaltigkeitsbereich. Vor seiner Tätigkeit beim EBA hat er für mehr als fünf Jahre in der Biogasbranche gearbeitet.

Biomethan statt Erdgas

Lesezeit 5 Minuten

Die Europäische Union will bis 2030 ein Fünftel der ­Gasimporte aus Russland durch Biomethan ersetzen. Der Vorsitzende des Europäischen Fachverbands Biogas (EBA), Harmen Dekker, hält das für realistisch, vorausgesetzt, die Anlagen werden schneller genehmigt – und die Anwohner profitieren stärker davon.

Erscheinungstermin 01. Dezember 2022

interviewChristoph Bauer & Christian Baulig

Herr Dekker, bis Anfang 2022 war Biogas doppelt so teuer wie Erdgas und daher kaum wettbewerbsfähig. Seitdem ist der Erdgaspreis enorm gestiegen – und Biogas gilt als tragfähige Alternative. Wird ausgerechnet die russische Invasion in die Ukraine diesem Energieträger zum Durchbruch verhelfen?

Harmen Dekker: Vielleicht in gewissem Umfang. Allerdings steht Biogas beziehungsweise Bio­methan bereits seit einiger Zeit im Blickpunkt. Beim EBA haben wir in ganz Europa unermüdlich an die Türen der politischen Entscheidungsträger geklopft. Bereits ein Jahr vor Ausbruch der Krise gab es ein gesteigertes Interesse an Biomethan – aus zwei Gründen. Zum einen wollte die EU-Kommission ihr „Fit for 55“-Ziel erreichen, das eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen um mindestens 55 Prozent innerhalb der kommenden sieben Jahre vorsieht. Zum anderen richteten Unternehmen, die sich zum Pariser Abkommen bekennen und ihre Klimaziele erreichen müssen, ihren Blick verstärkt auf Biomethan.

Die EU-Kommission will bis 2030 ein Fünftel der ­derzeitigen Gasimporte der EU aus Russland durch Biogas ersetzen. Das sind 35 Milliarden Kubikmeter. Ist das ein realistisches Ziel?

Auf jeden Fall. Wir haben alle europäischen Biogasstudien der vergangenen Jahre verglichen und festgestellt, dass das Gesamtpotenzial für nachhaltiges Gas bis 2050 kontinuierlich auf 167 Milliarden Kubikmeter steigt. Und dabei haben wir nicht einmal die gesamte Biomasse oder Gülle berücksichtigt, die zur Verfügung steht. Mit Blick auf 2030 habe ich keinen Zweifel daran, dass wir es schaffen können, wenn alles passt. Nur um Ihnen eine Vorstellung zu geben: Wir benötigen etwa 5.000 Biogasanlagen für 35 Milliarden Kubikmeter. Deutschland hat es nach 2006 geschafft, innerhalb von neun Jahren 6.000 Anlagen zu bauen.

Was sind die größten Engpässe?

Erstens können die Genehmigungsverfahren für den Bau einer Biogasanlage in Europa ewig dauern. Durchschnittliche Bearbeitungszeiten von bis zu vier Jahren sind jetzt, da wir Energiesicherheit brauchen, nicht akzeptabel. Zweitens benötigen wir einen Markt, in dem Methan frei zwischen den Ländern fließen kann. Wir müssen sicherstellen, dass die Grenzen geöffnet werden, wie beim Strommarkt. Drittens brauchen wir mehr Personal, das sich mit erneuerbaren Energien auskennt. Zudem müssen wir verstärkt nachhaltige Rohstoffe beschaffen und einen stabilen Regulierungsrahmen in ganz Europa gewährleisten.

Bisher ist die Qualität von Biomethan von Land zu Land unterschiedlich, was ein Hemmnis für den grenzüberschreitenden Handel darstellt.

Ja, allerdings gibt es auch beim Erdgas Qualitätsunterschiede, je nachdem ob es etwa aus Norwegen, Russland oder den Niederlanden kommt. Beim Biomethan lässt sich dieses Problem leicht lösen: ­Biogasanlagen können unterschiedliche Qualitäten produzieren. So können beispielsweise Membranen das CO2 bis zu einem gewissen Grad herausfiltern und hochreines Biomethan erzeugen. Auf jeden Fall sollten wir die Harmonisierung der in den jeweiligen Ländern geltenden Rechtsvorschriften verbessern, sodass wir die Produktion beschleunigen können.

Heute wandeln viele kleinere Biogasanlagen auf Bauernhöfen das Gas vor Ort in Strom um. Sollte man darauf nicht verzichten zugunsten effizienterer Technologien wie der Erzeugung von Biomethan?

Die Stromerzeugung mit Biogas hat bestenfalls einen Wirkungsgrad von 42 Prozent, wenn die Prozesswärme nicht genutzt wird. Biogasanlagen für die Erzeugung von Wärme und Strom zu nutzen kann sinnvoll sein, etwa wenn es in der Nähe kein Gasnetz gibt oder wenn lokal grüner Strom und grüne Wärme benötigt werden. Wenn der Anteil von Sonnen- und Windenergie am Strommix steigt, ist eine zentralere Netzstabilisierung erforderlich. Es ist also manchmal sinnvoll, Biomethan zu produzieren und in Strom umzuwandeln.

»Genehmigungsverfahren sind in Europa umständlich und dauern viel zu lange.«

HARMEN DEKKER

Wenn Windräder, Solarparks oder Biogasanlagen vor der eigenen Haustür gebaut werden sollen, gehen viele Leute auf die Straße. Wie kann man dieses Problem lösen?

Darauf legt die EU-Kommission ein besonderes Augenmerk. Die Genehmigungsverfahren sind in Europa umständlich und dauern viel zu lange. In Zeiten einer Energie- und Klimakrise müssen wir da unseren Ansatz überdenken. Zudem raten wir allen Projektentwicklern und Landwirten, unbedingt die Anwohner einzubeziehen. Eine Biogasanlage kann ein Dorf mit 3.000 Haushalten versorgen, und das zu einem sehr günstigen Preis. Das Biomethan ist also grün, billiger und wird lokal gewonnen. Die Leute könnten sogar ihre eigenen Bioabfälle in der Anlage verwerten, sofern sie dafür ausgelegt ist.

Und was ist mit dem Geruch?

In der Anfangszeit der Biogasbranche wurden die ­Gärrückstände manchmal nicht abgedeckt, und wenn eine Biogasanlage nicht richtig betrieben wird, kann es zu solchen Problemen kommen. Aber die Branche hat sich weiterentwickelt.

Kritiker der Biogasnutzung beklagen, dass vielerorts Energiepflanzen wie Mais angebaut werden, die Nahrungs- und Futterpflanzen verdrängen – was die positiven Auswirkungen aufs Klima verringert. Ist da nicht etwas Wahres dran?

Wir verdrängen keine Nahrungs- und ­Futterpflanzen. Und wir haben nicht vor, etwas zu tun, was sich ­nachteilig auf den Boden oder seine Nutzung ­auswirkt, wie etwa Monokulturen. Wenn Sie sich die relevanten Studien ansehen, werden Sie feststellen, dass es dort nicht um zusätzliche Kulturen geht, für deren Anbau die Bodennutzung geändert werden müsste.

Die Biogasbranche ist jedoch auf Gülle angewiesen. Eine ausreichende Versorgung der Biogasanlagen setzt also hohe Viehbestände voraus. Wie wird das in einer Welt funktionieren, in der weniger tierische Produkte konsumiert werden?

Ob die Leute Fleisch essen oder nicht, ist eine Entscheidung, auf die unsere Branche keinen Einfluss hat. Zur Verringerung der Emissionen ist es sinnvoll, Gülle als Rohstoff zu verwenden. Derzeit werden weniger als fünf Prozent der Gülle genutzt. Sollte weniger Gülle vorhanden sein, können andere nachhaltige Rohstoffe verwendet werden. Wenn es aufgrund des Verbraucherverhaltens oder politischer Entscheidungen weniger Viehhaltung geben sollte, werden wir uns der geänderten Situation anpassen.

Sie denken an Siedlungsabfälle oder Abwasser?

Zum Beispiel. Wir befürworten die europaweite Umstellung aller Kläranlagen ab einer bestimmten Größe auf ein anaerobes System. Das ist nicht nur billiger als die derzeitigen Methoden, sondern erzeugt auch Energie. Das gilt ebenfalls für die Verwendung organischer Siedlungsabfälle.

Wird die EU-Taxonomie – ein Klassifizierungs­system, das definiert, welche Wirtschaftstätigkeiten nachhaltig sind – diesen Prozess vorantreiben?

Ja, die Taxonomie ist wichtig, auch wenn man nach der Aufnahme von Erdgas und Atomkraft sagen muss: Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Biomethan wurde ebenfalls aufgenommen, doch wir vermissen noch die Einstufung von Pipelines als grüne Investition, wenn Biogasanlagen daran angeschlossen werden können.

Europa ist heute führend bei der Erzeugung und Nutzung von Biogas. Werden andere Teile der Welt aufholen?

Zunächst vermutlich nur langsam, aber dann wird es schneller gehen. In Asien gibt es zum Beispiel ein immenses Potenzial für nachhaltiges ­Biomethan. In vielen Ländern wird fossile Energie jedoch immer noch staatlich gefördert. Wenn man das ändert und Rahmenbedingungen für die Förderung nachhaltige­rer Energien schafft, wäre das sicherlich hilfreich. In anderen Teilen der Welt, etwa Amerika, hat man die Vorteile von erneuerbarem Erdgas bereits erkannt. Weltweit wünschen sich Gemeinden lokal erzeugte Energie, um die Versorgung zu sichern. ­Biogas ist perfekt, weil es eine stabile Energiequelle darstellt. Anders als Wind- und Solaranlagen produzieren wir rund um die Uhr. Außerdem ist Biogas lokal, das heißt, die Erzeugung funktioniert nach den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft, die wir für die Zukunft brauchen. Aus technologischer Sicht ist Europa in einer starken Position, sei es beim Bau von Biogaskuppeln, bei Dachsystemen oder bei Technologien zur Gasreinigung.

Bei der Wind- und Solarenergie hat Europa seinen Vorsprung schnell verloren. Viele Technologien für erneuerbare Energien kommen heute aus China. Sehen Sie dieselbe Gefahr für die europäische Biogasbranche?

Bei der Sonnenenergie liegen wir tatsächlich nicht mehr ganz vorn. Das hat aber auch mit den Ressourcen zu tun, die man für die Herstellung von Solarmodulen oder Batterien benötigt. Beim Biogas ist das anders. Wir müssen keine Materialien für Solar­module abbauen, und wir müssen keine Batterien herstellen. Wir verwenden Material, das vorhanden ist. Und das ist in der Tat unsere größte Stärke. Natürlich entwickeln andere Länder auch Technologien. Prima, nur zu! Wir brauchen jede nur mögliche lokal entwickelte Lösung, um sicherzustellen, dass wir Strom oder Gas aus einer erneuerbaren Quelle erzeugen können.

Die CO2-Abscheidung aus Biogas ist ebenfalls möglich. Kombiniert mit Wasserstoff erhält man Methan, das nicht nur als Energiequelle, sondern auch als Rohstoff für chemische Prozesse genutzt werden kann. Welche Rolle spielt diese Reaktionskette für Ihre Strategien?

Da sehe ich ein großes Potenzial, denn bei der Produktion von Wind- und Solarstrom hat man Leistungs­spitzen. Mit diesem Überschussstrom kann man nur eines machen: ihn sofort in Wasserstoff umwandeln. Aber was kann man ohne Pipelineanschluss damit anfangen? Am besten speichert man den Überschussstrom als erneuerbares Erdgas, denn wir haben ein gut ausgebautes Pipelinenetz in ganz Europa.

Befürchten Sie, dass die Biogasbranche an Dynamik verliert, sobald der Erdgaspreis wieder sinkt, und die Verbraucher zu fossilen Brennstoffen zurückkehren?

Das könnte sein. Am Terminmarkt gibt es jedoch ein ständiges Auf und Ab. Vor einem Jahr lag der Preis für eine Megawattstunde bei etwa 20 €. Heute kostet sie zehnmal so viel. Fürs Lieferjahr 2025 wird eine Megawattstunde mit rund 80 € gehandelt. Auf jeden Fall ist damit zu rechnen, dass der Erdgaspreis dauerhaft über dem bisherigen Niveau liegen wird. Wir sollten deshalb die Zeit nutzen, um die beiden erneuerbaren Gase weiterzuentwickeln, die zur Verfügung stehen: grünen Wasserstoff – und Biomethan.

Fotos: Henning Ross, Getty Images (2)

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