Im Autoklavenhaus am Evonik-Standort Lülsdorf experimentiert LaborleiterinJutta Malter mit ihrem Team an möglichst effizienten Verfahren zum chemischen Recycling von Kunststoffen.

Im Autoklavenhaus am Evonik-Standort Lülsdorf experimentiert LaborleiterinJutta Malter mit ihrem Team an möglichst effizienten Verfahren zum chemischen Recycling von Kunststoffen.

Lang lebe der Kunststoff

Lesezeit 8 Minuten

Durch chemisches Recycling können auch Kunststoffe wiederverwertet werden, die je nach Land bisher in der Verbrennung oder der Deponie landen. Evonik arbeitet an einem Verfahren für stark verschmutztes PET – und macht damit ganz neue Stoffströme erst recycelfähig.

Erscheinungstermin9. April 2021

TEXTDenis Dilba

Enthaltene Medien

Denis Dilba ist Diplom-Ingenieur und Journalist. Vor allem schreibt er über Wissenschaft und Technik – je komplexer das Thema, desto lieber.

Wie in einer Schneekugel wirbeln die PET-Schnipsel hinter fingerdickem Bor­silikatglas umher. Ein Rührwerk in dem Druckbehälter aus Edelstahl sorgt dafür, dass der Tanz der Polymer­flocken in der farblosen Flüssigkeit nicht endet. Zuerst läuft das nur im Schein der Taschenlampe sichtbare Schauspiel ohne augenscheinliche Veränderung ab. Dann aber beginnen sich die Schnipsel aufzulösen. Wenn weit über 100 Grad Celsius erreicht sind und sich hoher Druck im Behälter aufgebaut hat, dauert es nicht mehr lang, bis sie vollständig verschwunden sind. Die Flüssigkeit im Testreaktor hat jetzt eine bläuliche Farbe angenommen. „Bei diesem Rohstoff, nämlich stark gefärbtem PET, ist das so üblich“, sagt Dr. Jutta Malter, Laborleiterin am Evonik-Standort Lülsdorf bei Köln. Ohne weiteren Aufreinigungsschritt findet sich der blaue Farbstoff später auch in dem Monomerbaustein des PET wieder, auf den die Forscher in der sogenannten Alkoholyse nach dem Abkühlen abzielen. Zwar nur in geringer Konzentration – doch auch das entstandene Dimethylterephthalat oder kurz DMT hat einen leichten Blaustich.

Wie vermeidet man solche Verfärbungen? Wie lassen sich solche Verunreinigungen später am einfachsten aus dem Monomer entfernen? Dies sind Fragen, die Malter und ihr Team im Geschäftsgebiet Functional ­Solutions klären wollen. Von den Antworten hängt ab, für welche Einsatzzwecke sich das wiederverwertete Material eignet. Ziel ist es, eine Kombination aus Chemikalien und technischen Prozessen zu finden, die es ermöglicht, Kunststoffabfälle auf chemischem Weg energiesparend, wirtschaftlich und für hochwertige Anwendungen zu recyceln.

RECYCLINGKUNSTSTOFFE SIND GEFRAGT

Dr. Patrick Glöckner ist fest davon überzeugt, dass die Zeit des chemischen Recyclings gekommen ist. „Viele Prozesse sind im Grunde seit Jahrzehnten bekannt“, sagt der Experte für zirkuläre Wirtschaft bei Evonik. „Doch erst jetzt sind die Technologien so weit gereift, dass sie vor der Umsetzung in den industriellen Maßstab stehen.“ Die Vorzeichen hätten sich geändert, sagt Glöckner, der das Global Circular Plastics Program von Evonik verantwortet. „Viele Kunden setzen auf möglichst nachhaltige Produkte. Auch große Markenartikler fragen für ihre Produkte verstärkt recycelte Kunststoffe wie PET nach.“ Der Möbelhändler Ikea ist hier besonders ehrgeizig:. „Eines unserer ambitionierten Ziele ist es, bis 2030 für alle Produkte, bei denen es relevant ist, ausschließlich erneuerbare und recycelte Materialien zu verwenden“, sagt Raffaele Giovinazzi, der sich im Polymer­team von Ikea mit der Wiederverwertung von Materialien beschäftigt.

Politische Entwicklungen unterstützen den Trend zu mehr recyceltem Plastik. So sollen nach dem Willen der Europäischen Kommission bis 2025 zehn Millionen Tonnen Rezyklat in Europa im Einsatz sein. Bis 2030 sollen alle Verpackungen in Europa entweder wiederverwendbar oder recycelfähig sein. „Recycled in the EU“ soll zu einem Qualitätsmerkmal werden.

»Wir bauen eine Plattform­technologie für das Recycling verschiedener Polymere auf.«

PATRICK GLÖCKNER, LEITER GLOBAL CIRCULAR PLASTICS PROGRAM

Weltweit wird daher verstärkt an der Umsetzung mechanischer und chemischer Methoden zum Kunststoffrecycling gearbeitet. „Wir werden beide Verfahren brauchen, wenn wir ambitionierte politische Ziele erfüllen und eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft aufbauen wollen“, sagt Glöckner. Das mechanische Re­cyc­ling ist meist die erste Wahl. „Nur lässt sich eben nicht alles mechanisch recyceln.“

Im Labor läuft die Methanolyse im Dreihalskolben ab. Das Gemisch aus PET, Methanol und dem Katalysator Natriummethylat wird dabei in einem Topf voll Thermo-Öl zum Sieden gebracht.

Im Labor läuft die Methanolyse im Dreihalskolben ab. Das Gemisch aus PET, Methanol und dem Katalysator Natriummethylat wird dabei in einem Topf voll Thermo-Öl zum Sieden gebracht.

Die Zusammensetzung mancher Kunststoffe macht sie für mechanisches Recycling ungeeignet. Dazu zählen vor allem Folienverpackungen für Wurst und Käse. Sie bestehen aus mehreren hauchdünnen Schichten unterschiedlicher Kunststoffe. Solche Verbundfolien werden heute in Deutschland verbrannt, weil die sorten­reine Trennung zu teuer wäre. Zudem lassen sich selbst gut wiederverwertbare Kunststoffe wie PET nicht unbegrenzt mechanisch recyceln, weil sie beispielsweise eingefärbt sind. Und schließlich werden bei jedem Durchlauf die Molekülketten kürzer und lassen sich so nicht mehr für hochwertige Anwendungen einsetzen.

AUS KETTEN WERDEN KLEINERE MOLEKÜLE

Nur rund ein Viertel des recycelten PET-Materials in Deutschland kann daher wieder zu Flaschen verarbeitet werden. Aus einem weiteren großen Anteil werden andere Produkte hergestellt, hauptsächlich Fleecepullis und Industriefolien. „Ein mechanisches Recycling dieser Produkte ist noch herausfordernder“, sagt Glöckner. Das chemische Recycling bietet einen Ausweg. Anders als bei der mechanischen Aufbereitung werden die Polymerketten des Ausgangsmaterials hier in sogenannte Monomere gespalten, wodurch selbst stark verunreinigte, eingefärbte sowie mit Additiven oder Fremdstoffen versetzte Polymerstoffströme als wertvoller Rohstoff wiederverwertet werden können. Aus den so gewonnenen chemischen Bausteinen lassen sich dann neue Polymere für hochwertige Anwendungen herstellen – und der Kreis schließt sich.

Für die praktische Anwendung eignen sich solche Verfahren jedoch nur, wenn sie im industriellen Maßstab genutzt werden können. „Die zuverlässige Verfügbarkeit von großen Mengen geringwertiger Abfallrohstoffe ist der Schlüssel zu mehr chemischem Recycling“, sagt Ikea-Experte Giovinazzi. Im Global Circular Plas­tics Program von Evonik liegt ein Fokus daher auf Technologien, bei denen Eingangsmaterialien in großen Mengen anfallen. Zudem muss eine positive Ökobilanz sichergestellt sein. Denn nicht alles, was technisch möglich ist, kommt der Umwelt zugute. Die Verfahrens­entwicklung zur PET-Methanolyse, an der Jutta ­Malter und ihr sechsköpfiges Team zurzeit in Lülsdorf arbeiten, ist dabei schon weit fortgeschritten.

Als Hauptprodukt der PET-Methanolyse erhalten die Labormitarbeiter Dimethylterephthalat, einen weißen Feststoff.

„Chemisch betrachtet, handelt es sich um eine Umesterung“, erklärt Malter. Das PET-Rohmaterial wird mit einer vielfachen Menge an Methanol und dem ­Katalysator versetzt und dann erhitzt. Neben dem Reak­tions­produkt DMT entsteht Ethylenglykol (EG). Bei reinen Ausgangsstoffen und idealen Reaktionsbedingungen sei das keine besonders komplizierte Reaktion, sagt Malter. „Für Chemiker, die lieber komplexe Moleküle synthetisieren, ist dies vermutlich nicht die richtige Aufgabe.“ Die Herausforderungen liegen jenseits der Reaktion im Reagenzglas. Malter geht es darum, einen kosteneffizienten Prozess zu entwickeln, der bei unterschiedlichsten PET-Ausgangsmaterialien eine hohe Aus­beute an möglichst reinem DMT und EG ergibt. Und das Ganze natürlich mit optimierter Ökobilanz.

EIN VERFAHREN – VIELE MÖGLICHKEITEN

Ein wichtiger Fixpunkt bei ihren Versuchen ist der Katalysator: Natriummethylat ist das Mittel der Wahl. Das Alkoholat, das Evonik schon lange in Lülsdorf herstellt, wird heute vor allem zur Produktion von Biodiesel eingesetzt. Durch die effiziente PET-Methanolyse soll sich auch ein interessanter neuer Absatzmarkt für das Geschäftsgebiet eröffnen.

Vor den praktischen Experimenten im Labor berechnet Jutta Malter, was theoretisch herauskommen müsste.

Vor den praktischen Experimenten im Labor berechnet Jutta Malter, was theoretisch herauskommen müsste.

Seit 2014 wurden sämtliche Kombinationen von gängigen Kunststoffen und am Standort produzierten Alkoholaten getestet, um Erkenntnisse für Recyclingmöglichkeiten zu gewinnen. Die PET-Methanolyse mit Natriummethylat setzte sich als eine der aussichtsreichsten Paarungen durch.

Was darüber hinaus für diese Reaktion spricht: Das dabei gewonnene DMT könnte Evonik selbst nutzen. „Durch dessen Einsatz könnten wir noch nachhaltigere Weichmacher produzieren“, sagt Michael Graß aus dem Geschäftsgebiet Performance Intermediates von ­Evonik. Graß’ Bereich produziert heute bereits einen Weich­macher aus Dimethylterephthalat. „Eine Alternative aus DMT-Rezyklat hätte den Vorteil, dass sie dieselben Eigenschaften besitzt wie ein konventionell hergestelltes Produkt“, sagt Graß. „Wir müssen dem Kunden kein neues Molekül erklären.“ Und die Zulassungen in der EU-Chemikalienverordnung REACH können unverändert weitergenutzt werden.

»Der Vorteil des DMT-Rezyklats: Wir müssen dem Kunden kein neues Molekül erklären.«

MICHAEL GRASS, LEITER ANWENDUNGSTECHNIK & PRODUKTENTWICKLUNG IM GESCHÄFTSBEREICH PERFORMANCE INTERMEDIATES

Für den Erfolg des nachhaltigen Weichmachers muss ein wettbewerbsfähiger Preis sichergestellt sein, betont Graß. Schließlich konkurriert jeder recycelte Rohstoff mit dem Preis, der für neues Material auf Erdölbasis verlangt wird. Und ja, bläulich dürfte das DMT für so eine Anwendung natürlich auch nicht sein. Dafür soll nun Jutta Malter sorgen. „Technisch machbar ist das auf jeden Fall“, sagt die Chemikerin. Doch es gilt noch eine Fülle an Details zu prüfen: Benötigt man eine Aufreinigungsstufe oder zwei oder drei – oder je nach Druck und Temperatur vielleicht gar keine? Lässt sich hochreines DMT auch aus anderen, womöglich günstigeren PET-Quellen herstellen? Wie stark wirken sich Verschmutzungen im jeweiligen Ausgangsmaterial auf das Reaktionsprodukt aus?

Wenn all dies geklärt ist, wird Thomas Richter weitere Fragen stellen. Zusammen mit anderen Experten aus dem Bereich Process Technology & Engineering arbeitet er an effizienten und skalierbaren Prozessen, um für Evonik die wirtschaftlichen Potenziale des chemischen Recyclings zu heben. Am Ende dieses Weges soll eine funktionsfähige Anlage in großem Maßstab stehen. „Der Haken bei den meisten Reaktionen ist, dass sie nicht eins zu eins aus dem Labormaßstab zu einer industriellen Produktion hochskaliert werden können“, sagt Richter.

AUF DEM WEG ZUR PLATTFORMTECHNOLOGIE

Bei der PET-Methanolyse forscht er wie die Chemikerin Malter am optimalen Set-up. „Einfach größere Rührkessel nehmen funktioniert nicht“, sagt Richter. Die Reaktion würde zu lange dauern, und der Prozess wäre im Verhältnis zum erzielbaren Ausstoß zu teuer. Den Druck zu erhöhen und damit die Reaktion zu beschleunigen ist ebenfalls problematisch. „Die damit verbundenen Folgekosten werden dann zu hoch“, sagt Richter.

Im Autoklav, einem gasdicht verschließbaren Behälter, erfolgt die PET-Methanolyse unter Druck und hohen Temperaturen. Dies beschleunigt den Reaktionsprozess.

Im Autoklav, einem gasdicht verschließbaren Behälter, erfolgt die PET-Methanolyse unter Druck und hohen Temperaturen. Dies beschleunigt den Reaktionsprozess.

Der Weg zum besten Prozess führt für die Experten aus den verschiedenen Einheiten von Evonik über den Aufbau einer Pilotanlage. Auf dieser Basis könnte man dann später Kunden verschiedene Angebote machen: Brauchen sie für eine eigene Anlage das gesamte Prozess-Know-how oder nur den idealen Katalysator? Patrick Glöckner denkt aber schon über das PET-Recycling hinaus: „Wir nutzen das Wissen, das wir hier aufbauen, um eine Plattformtechnologie aufzubauen. Diese kann sowohl für das Recycling anderer Polymerklassen als auch für die Gewinnung anderer Monomere genutzt werden.“ Evonik wolle einen möglichst großen Beitrag dazu leisten, Wiederverwertungstechnologien schneller, effizienter und günstiger zu machen, sagt Glöckner. „Letztlich geht es darum, das Erdöl in der Erde zu lassen.“

Rohstoffliches Recycling

Der Kunststoff Polyethylenterephthalat (PET) wird bisher mechanisch, also werkstofflich, recycelt. Dabei wird das gesammelte Material geschreddert, gereinigt, eingeschmolzen – und wieder zur Flasche geformt. Stark verunreinigtes oder farbiges PET lässt sich so aber nicht verarbeiten. Hier soll das chemische (rohstoffliche) Recycling zum Einsatz kommen.

So funktioniert die PET-Methanolyse

Fotos und Film: Robert Eikelpoth

Infografik: Maximilian Nertinger

Illustration: Oriana Fenwick / Kombinatrotweiss mit Fotovorlage von Fail Better Media / Helen Fischer

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