SONNENSPEICHER SALZ

Lesezeit 7 Minuten

Forscher im niederländischen Eindhoven tüfteln an einem genial einfachen Wärmespeicher für die Energiewende. Die wichtigste Zutat steckt auch in Lebkuchen.

TEXTTOM RADEMACHER

»Wir speichern überschüssige Wärme im Keller.«

OLAF ADAN

Leiter Heat-Insyde

Olaf Adan hat viele Jobs, aber keinen Schreibtisch. „Das wäre Unsinn, ich pendle ja an­dauernd“, sagt der Physiker. Sein Laptop klappt Adan dort auf, wo er gerade zu tun hat: meist in den Labors der Technischen Universität (TU) Eindhoven oder im TNO-Gebäude am anderen Ende der Stadt. TNO steht für Toegepast Natuurwetenschappelijk Onderzoek, zu Deutsch: Angewandte Naturwissenschaftliche Forschung. Es ist so etwas wie das niederländische Gegenstück zur deutschen Fraunhofer-Gesellschaft, und Adan leitet dort den Forschungsbereich Materialwissenschaft. An der TU Eindhoven ist er Professor für Angewandte Physik, Fachbereich „Transport in porösen Medien“. Mithilfe ausgedienter MRT-Geräte, die er für seine Zwecke frisiert, schaut er dort zum Beispiel in ­Betonbauteile hinein. „So verstehen wir etwa, warum Tunneldecken bei Bränden regelrecht explodieren.“

Besonders stark beansprucht Olaf Adan jedoch derzeit seine Tätigkeit als Leiter von Heat-Insyde. Das Entwicklungskonsortium wurde im vorigen Herbst von elf internationalen Projektpartnern – darunter Evonik – gegründet und wird von der EU mit knapp sieben Millionen € gefördert.

SONNENENERGIE FÜR KALTE TAGE

Für Heat-Insyde ist Adan in halb Europa unterwegs, in Polen, Belgien, Frankreich und Deutschland. Kürzlich reiste er auch nach Lülsdorf bei Köln, wo Evonik Materialien produziert, die bei Adans Projekt eine wichtige Rolle spielen. Mit seinem Team arbeitet der Wissenschaftler an einer revolutionären Technologie, mit deren Hilfe sich Wärmeenergie für Gebäude verlustfrei speichern lassen soll – und zwar solange man will. Sie könnte den Einsatz von Solarthermie effizienter und verlässlicher machen. „Wenn die Sonne scheint, speichern wir überschüssige Wärme im Keller für kalte, graue Tage“, erklärt Adan. Und zwar nicht nur in einzelnen Wohnhäusern. Ganze Siedlungen und sogar große Fernwärmeproduzenten könnten damit Spitzen in Angebot und Nachfrage abfedern.

Das Heat-Insyde-Projekt ist am Südwestrand von Eindhoven im sogenannten High Tech Campus angesiedelt. Binnen zwei Jahrzehnten haben sich auf dem ehemaligen Philips-Gelände rund um einen künstlichen See rund 200 Start-ups, Konzerne und Forschungsinstitute angesiedelt. Fast 40 Prozent aller neuen niederländischen Patentanmeldungen haben hier ihren Ursprung. In einem kleinen Konferenzraum im zweiten Stock steht die erste funktionsfähige Wärmebatterie der Forscher. Sie speichert Energie auf thermo­chemische Weise und fußt auf den Erkenntnissen zweier Vorgängerprojekte, an denen TNO ebenfalls beteiligt war, darunter eines in Polen.

Dort musste vor ein paar Jahren noch ein Schiffscontainer per Kran in den Garten eines Einfamilienhauses gehievt werden, um genügend Speicherkapazität bereitzustellen. Der neue Demonstrator ist deutlich kompakter. Auf Rollen lässt er sich bequem durch eine Zimmertür schieben. Vier Komponenten reichen im Wesentlichen: ein Wärmetauscher, ein Ventilator, ein Verdampfer und ein Reaktorbehälter.

„Die Einfachheit ist der größte Charme der Batterie“, erklärt Adan. Der Clou steckt im Reaktor. Er enthält ein Bett aus Salzkörnern, durch das der Ven­tilator heiße, trockene Luft bläst. Die nötige Energie ­liefern zum Beispiel Sonnenkollektoren auf dem Dach eines Hauses. Theoretisch lässt sich auch jede Stromquelle dafür nutzen. Die Luft erhitzt das Salz, es trocknet aus und gibt Wasserdampf an den Luftstrom ab. Der Kondensator holt die Feuchtigkeit aus der Luft, bis das Salz komplett dehydriert ist. Die Batterie ist nun geladen. „Die Energie bleibt im Salz, solange ich es trocken halte“, erklärt Adan. „Um sie ­wieder ­abzurufen, muss ich nur befeuchtete Luft hinzufügen.“

Olaf Adan, Leiter von Heat-Insyde
Womit Olaf Adan sein Salz beschichtet, ist geheim.
Pim Donkers, Mitarbeiter von Heat-Insyde
Pim Donkers hat zum thermochemischen Prinzip hinter der Wärmebatterie promoviert.

In der Wärmebatterie übernimmt diesen Part wieder der Ventilator, indem er die Luft – diesmal kalt und feucht – durch das trockene Salzbett bläst. Das Salz zieht die Feuchtigkeit aus dem Luftstrom und erhitzt ihn dabei auf über 60 Grad Celsius. Die Wärme kann für Heizung und Warmwasserbereitung genutzt werden. Das zugrunde liegende Prinzip ist seit Ewigkeiten bekannt: Wenn bestimmte Salzkristalle Wasser aufnehmen, geben sie dabei Wärme ab. Adans Mitarbeiter Pim Donkers demonstriert das gern, indem er Besuchern ein Glas mit Salzkügelchen in die Hand drückt.

Dann gibt er einen kräftigen Spritzer aus seiner Wasserflasche dazu. Sofort zischt es, das Wasser verschwindet im Salz, und das Glas wird heiß. Über diesen Überraschungseffekt hat Donkers vor fünf Jahren seine Doktorarbeit geschrieben. Dazu hat er fast alle verwendbaren Salze selbst untersucht. „Mein persönlicher Favorit waren die Kupfersalze“, sagt er. „Aber die sind leider viel zu teuer.“ Andere erwiesen sich als instabil, korrosiv oder bildeten gar giftige Gase. Alles nichts für eine Anlage, die später mal jahrzehntelang im Keller ­eines Einfamilienhauses stehen soll.

DIE WICHTIGSTE ZUTAT: POTTASCHE

Letztlich landete Donkers bei einem Salz mit sehr hoher Energiedichte, das sich bei den im Wohnbereich üblichen Temperaturniveaus bestens hydrieren und de­hy­drieren lässt. Es ist stabil, harmlos im Umgang und obendrein noch vergleichsweise günstig. Die Rede ist von Kaliumcarbonat, auch bekannt als Pottasche. ­Pottasche kommt in unzähligen Anwendungen zum Einsatz – von der Kakaoverarbeitung bis zur Herstellung von Kristallglas. Zu den bekanntesten Einsatzgebieten zählt wohl die Lebkuchenproduktion, wo ­Pottasche als Backtriebmittel dient. „Das zeigt schon, wie harmlos das Material ist“, sagt Georg Dürr. Er ­arbeitet in der Anwendungstechnik bei Evonik in Lülsdorf. Dort stellt man seit 70 Jahren Pottasche her. Mit einer Jahreskapazität von rund 60.000 Tonnen ist Evonik einer der größten Produzenten weltweit. Gewonnen wird Pottasche aus Kalilauge, die Evonik selbst in einem besonders ressourcenschonenden Elektrolyse­verfahren herstellt. Als Grundstoff dient Kaliumchlorid, das wie gewöhnliches Kochsalz auch in Europa abgebaut wird.

BAUSTEIN FÜR DIE ENERGIEWENDE

Während Hobbybäcker Pottasche im 15-Gramm-Beutel im Supermarkt bekommen, verkauft Evonik sie selbst erst ab einer Lkw-Ladung. Aufmerksam wurde Dürr auf Heat-Insyde dann auch nur, weil ihn die ungewöhnliche Anfrage eines Zwischenhändlers erreichte. „Die wollten kleine Produktproben und stellten ganz ungewöhnliche Fragen“, erinnert sich der Evonik-­Manager. Ein paar E-Mails und Telefonate später hatte er Olaf Adan selbst am Hörer. Kurz darauf war Dürr im Auto unterwegs ins zwei Stunden entfernte Eindhoven. Eine kurze Überschlagsrechnung hatte ihn und seine Chefs aufhorchen lassen: Allein in Deutschland sind laut Bundesverband Solarwirtschaft knapp 2,4 Millionen Solarthermieanlagen im Einsatz, zuletzt kamen 71.000 in einem Jahr dazu. „Nur ein Prozent davon wäre schon ein ordentlicher Markt“, sagt Dürr. „Da hat man dieses Produkt, das zwar unheimlich vielseitig ist, aber halt auch bestens bekannt und vermeintlich zu Ende entwickelt. Und plötzlich tut sich nicht nur ein solches Marktpotenzial auf, sondern man liefert mög­licherweise auch einen entscheidenden Baustein fürs Gelingen der Energiewende.“

Speziell beschichtete Pottasche
Pottasche identifizierte Pim Donkers als perfektes Speichermedium.

PROTOTYPEN IN SIEBEN HÄUSERN

Bis es so weit ist, bleibt einiges zu tun. Zwar hat sich die Pottasche von Evonik dank ihres hohen Reinheitsgrads inzwischen als besonders geeignet erwiesen. Doch aus dem Demonstrator muss noch ein marktfähiges Produkt werden. Das soll nicht größer sein als eine Waschmaschine und noch einfacher zu bedienen. „Mehr als einen Knopf zum An- und Ausschalten braucht es ­eigentlich nicht“, sagt Olaf Adan. Die hohe Energiedichte der Pottasche, gepaart mit dem simplen Aufbau, macht die Technologie besonders attraktiv: „Wir rechnen damit, dass unsere Wärmebatterie bei gleicher Leistung nur etwa halb so groß wird wie heutige Speicher auf Basis von Lithium-Ionen-Batterien und weniger als ein Zehntel kostet“, sagt Adan. Andere gängige Speicher, die Wärme etwa in isolierten Wassertanks vorhalten, sind zwar ähnlich günstig, aber etwa zehnmal so groß und weniger effektiv. Mit nur einem einzigen beweglichen Teil, dem kleinen Ventilator, wäre der Heat-Insyde-Speicher zudem geräuscharm und wenig wartungsanfällig. Und das Salz selbst ist zu 100 Prozent recycelbar.

High Tech Campus in Eindhoven
Der High Tech Campus am Stadtrand von Eindhoven ist Heimat zahlreicher Technologie­firmen, darunter auch Heat-Insyde.

Wie so oft steckt hinter der genial simplen Technologie eine Menge wissenschaftlicher Arbeit. Um das Salz über Jahrzehnte und Hunderte Ladezyklen stabil zu halten, wird es zu einem Komposit verarbeitet. Dessen Zusammensetzung ist ein strengstens gehütetes Betriebsgeheimnis. Außerdem tüftelt man noch am ­optimalen Aufbau des Betts und der Partikelgröße, um den Luftstrom möglichst effektiv durch den Reaktor zu leiten. Eine weitere Doktorarbeit an Adans Fakultät beschäftigt sich mit Dotierungen, also dem gezielten Einbau von Fremdsubstanzen in die Salzkristallstruktur, mit denen die Aufnahmegeschwindigkeit und die Speicher­leistung noch gesteigert werden könnten.

Die Parameter des Systems folgen einem typischen Anforderungsprofil: „Länger als 12 bis 14 Tage muss man in unseren Gefilden die Solarthermie praktisch nie überbrücken“, sagt Donkers. Um zu beweisen, dass ein Vierpersonenhaushalt im Zeitraum von zwei Winterwochen mit dem Heat-Insyde-­Speicher gut über die Runden kommt, sollen spätestens im Sommer 2022 sieben Häuser mit seriennahen Prototypen ausgestattet werden – in Frankreich, Polen­ und in den Niederlanden. „Wir können uns schon jetzt vor Bewerbern kaum retten“, sagt Adan, eher er sich verabschiedet und mit dem Laptop unterm Arm zum nächsten Termin an der Uni aufbricht.

Olaf Adan und Georg Dürr
Olaf Adan (l.) und sein Team kooperieren mit Evonik. Der Konzern stellt in seinem Werk in Lülsdorf Pottasche her, für die Georg Dürr neue Anwendungsbereiche sucht.

Fotos: Robert Eikelpoth (5), picture alliance/Pro Shots

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