Robotereinsatz in der Blutbahn: In der Realität sind medizinische Nanomaschinen längst noch nicht so ausgefeilt wie in dieser Computeranimation

Robotereinsatz in der Blutbahn: In der Realität sind medizinische Nanomaschinen längst noch nicht so ausgefeilt wie in dieser Computeranimation

KLEINER EINGRIFF

Lesezeit 4 Minuten

Motoren aus einem Atom? Winzige Partikel, die Transportaufgaben erledigen? Die Nanorobotik wird auch in der Medizin enorme technische Fortschritte ermöglichen.

TEXTBjörn Theis

Im Jahr 1965 läuft Dr. Jan Beneš, ein tschechischer Wissenschaftler, in den Westen über. Die Flucht bleibt nicht unentdeckt ‒ seine Verfolger lauern ihm auf und verletzen ihn schwer. Beneš kann entkommen, doch ein Blutgerinnsel in seinem Gehirn droht ihn langsam zu töten. Kurzerhand wagt man ein riskantes Experiment: Man verkleinert ein U-Boot mit einer Besatzung aus Medizinern sowie CIA-Agenten und injiziert es in Beneš’ Körper mit dem Ziel, den Blutklumpen aufzulösen.

Der Science-Fiction-Film „Die phantastische Reise“ aus dem Jahr 1966 hat seither Generationen von Forschern inspiriert. Einer von ihnen: Eric Drexler, der 1986 mit „Engines of Creation“ ein visionäres Grundlagenwerk der Nanotechnologie verfasste. In diesem Buch beschreibt er zahlreiche Konstruktions- und Einsatzmöglichkeiten von Maschinen in Nanometergröße. Zum Ver­gleich: Ein Blatt Papier ist circa 100.000 Nano­meter dick. Laut Drexler könnte man mithilfe molekularer Technologien künftig Krankheiten diagnostizieren, Medikamente im Körper zielgerichtet zum Krankheitsherd transportieren und bei Bedarf auch chirurgische Operationen durchführen.

MOLEKULARE MASCHINEN

Heute ist man dieser Vision bereits ein gutes Stück nähergekommen. 2016 erhielten Jean-Pierre Sauvage, James Fraser Stoddart und Bernard Lucas Feringa den Chemie­nobel­preis für den Entwurf und die Synthese molekularer Maschinen. Den drei Forschern war es gelungen, Moleküle zu Einheiten wie „Auto“, „Muskel“ oder ­„Motor“ zusammenzufügen, die dazu fähig sind, kontrollierbare Bewegungen auszuführen und bestimmte Aufgaben zu erledigen. „Die Preisträger haben Maschinen minia­turisiert und die Chemie so in eine neue Dimen­sion geführt“, so das Nobelpreis­komitee. Im selben Jahr präsentierte eine Forschergruppe der Universitäten Mainz, Kassel und Erlangen-Nürnberg den kleinsten Motor der Welt. Diese Wärmekraft­maschine besteht aus einem Kalziumatom und könnte in Zukunft als Antrieb für Nanoobjekte genutzt werden.

TRANSPORTVEHIKEL IM KÖRPER

Seitdem hat sich die Entwicklung beschleunigt. 2018 zeigte die Forschungsgruppe Mikro-, Nano- und Molekulare Systeme des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme eine Nanomaschine, die sich durchs Auge bewegen kann. Der propellerförmige Miniroboter ist gerade einmal 500 Nanometer groß. Ein Test an einem Schweineauge zeigte, dass sich ein Schwarm aus Tausenden dieser Roboter durch die Maschen des Kollagennetzwerks im Glaskörper des Sehorgans bewegen kann, ohne Beschädigungen zu verursachen. Nun will das Team die Nanopropeller für den Transport von Wirkstoffen vorbereiten. Die ­Vision: ein Werkzeug für minimalinvasive Behandlungen aller Krankheiten, bei denen der Problembereich von dichtem Gewebe umgeben und damit schwer zugänglich ist.

Björn Theis ist Head of Foresight der Evonik-Innovationseinheit Creavis. Seine ELEMENTS-Kolumne erscheint regel­mäßig auf elements.evonik.de.

Zwar werden wir wohl auch in Zukunft nicht in Nano-U-Booten durch mensch­liche Körper navigieren, die Nanomedizin entwickelt sich dennoch dynamisch. Es kann erwartet werden, dass hier neue und effektive Anwendungen und Behandlungsmethoden entstehen, etwa mithilfe von Nanodrohnen. Ein guter Grund für das Fore­sight-Team der Creavis, das Thema im Blick zu behalten. Schließlich hat sich schon das erste Projekthaus der Creavis vor gut 20 Jahren mit dem Thema Nanomaterialien und deren möglichen Anwendungen in Elektronik, Kosmetik sowie der Lack- und Pharmaindustrie befasst. Auch heute spielt das Thema für Evonik eine Rolle. So beschäftigt sich die Creavis gegenwärtig mit dem Nanomaterial Graphen und identifiziert poten­zielle Anwendungsfelder – unter anderem im Bereich der Medical Devices.

Foto: Shutterstock / 3Dalia

Illustration: Oriana Fenwick / Kombinatrotweiss mit Fotovorlage von Karsten Bootmann / Evonik

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23. Oktober 2020

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