Ist das Kunststoff, oder kann das weg? Eine Frau überprüft in einem Slum von Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs, Polyethylenfolie, die recycelt werden soll.

PLASTIKMÜLL ALS NACHHALTIGE RESSOURCE

TEXTBJÖRN THEIS

Ist das Kunststoff, oder kann das weg? Eine Frau überprüft in einem Slum von Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs, Polyethylenfolie, die recycelt werden soll.

PLASTIKMÜLL ALS NACHHALTIGE RESSOURCE

Alte Sportklamotten als wertvolle Ressource für neue Sneaker? Ausrangierte Fischernetze als Wertstoff für Feinstrumpfhosen? Ja, das ist möglich, wenn man Plastikmüll als eine wertvolle und zukunftsweisende Ressource versteht.

TEXTBJÖRN THEIS

Kunststoffe zählen mit Sicherheit zu den großen Erfindungen der Menschheit. Dank ihrer vielfältigen Eigenschaften ermöglichten sie gesellschaftlichen und technologischen Fortschritt. Ohne Kunststoff müssten wir heute auf zahlreiche Annehmlich­keiten verzichten: vom Bremsschlauch bis zur Schallplatte, von der Frischhalte­folie bis zur Strumpfhose.

Allerdings haben Kunststoffe aufgrund ihrer kostengünstigen Produktion auch unsere Konsummuster verändert: In vielen Gesellschaften ist etwas entstanden, das Soziologen als Wegwerfmentalität bezeichnen. Ein Beispiel hierfür ist die sogenannte Fast Fa­shion. Manche globale Modeketten bieten pro Jahr 24 verschiedene Kollektionen an. Die Folge: Wir besitzen immer mehr Kleidung, die wir kaum noch tragen, weil sie so schnell aus der Mode kommt. Ein weiteres großes Einsatzfeld für Kunststoffe sind Verpackungen, zum Beispiel für den hygienischen Verkauf von Lebensmitteln und Medikamenten oder für den Transport von größeren Warengebinden.
Doch der massenhafte Einsatz von Kunststoff bringt Probleme mit sich: Wird ein Plastikprodukt nicht mehr gebraucht, landet es im Müll. Kunststoffe benötigen eine lange Zeit, um zu verrotten − werden sie nicht (oder nur thermisch) verwertet, sind wachsende Plastik­berge an Land und -inseln im Meer die Folge.

RECYCELTER KUNSTSTOFF ALS BASIS FÜR NEUE PRODUKTE

Allerdings gibt es Signale, die den Beginn einer Trendwende vermuten lassen: Immer mehr Unternehmen sehen in Plastikmüll eine nachhaltige Ressource. So hat beispielsweise der Sportartikelprodu­zent Adidas angekündigt, ab 2024 nur noch recycelte Kunststoffe für seine Produkte zu verwenden. Der Bekleidungshersteller Sympatex verspricht noch mehr: Bis 2020 will das Unternehmen seinen Materialkreislauf schließen – alle Produkte können dann unendlich oft recycelt werden. Dass so etwas möglich ist, zeigt der italienische Garnhersteller Aquafil mit seiner Neuheit Econyl, das sich beliebig oft wiederverwerten lässt.

Neue technologische Entwicklungen unterstützen die Wiederverwertung von Kunststoffen: So nutzt die niederländische Initiative Recycled Island Foundation recycelten Kunststoff für den Plattformbau von schwimmenden Elementen, um in Rotterdam einen schwimmenden Park entstehen zu lassen. Re­cycelte Produkte gelten bei Konsumenten zunehmend als hip. Unter­nehmen wie das Start-up Share haben diese Trendwende erkannt. Der Mineralwasserabfüller bietet als Erster in Deutschland nur noch Flaschen aus 100 Prozent Recyclat an, das heißt aus komplett wiederverwertetem Plastik.

Diese Beispiele sind Indizien eines gesellschaftlichen Umdenkens. Es entsteht eine neue Vision für die Plastikwirtschaft: ein geschlossener, abfallfreier Kunststoffkreislauf, in dem man die eingesetzten Materialien möglichst oft wiederverwenden kann. Hier schlummert ein gewaltiges Potenzial, schließlich ist die Ressource „gebrauchte Kunststoffe“ in großen Mengen vorhanden und wächst stetig nach.

HOCHZEIT ZWEIER KUNSTSTOFFE

Doch um dieses Potenzial zu wecken, ist noch viel Arbeit nötig. Entsorgungswirtschaft und Kunststoffhersteller etwa müssen voneinander lernen. Oftmals sind den Recyclern die Ansprüche der Indus­trie an mögliche Recyclate nicht bewusst, während die Kunststoffhersteller die Probleme beim Recycling nicht kennen. So lassen sich Kunststoffsorten im Abfall schwer voneinander trennen. Das führt dazu, dass die heute erhältlichen Recyclate gegenüber ihren sortenreinen Vorfahren mindere Eigenschaften aufweisen. Mischt man beispielsweise die weitverbreiteten Kunststoffe Polyethylen (PE) und Polypropylen (PP) miteinander, geht die Widerstandsfähigkeit der Ausgangsmaterialien verloren.

Grund genug für das Foresight-Team der strategischen Innovationseinheit Creavis, sich der Zukunft des Kunststoffrecyclings zu widmen. Die Forscher verfolgen beispielsweise den Ansatz, PE und PP durch ein Blockcopolymer zu „verheiraten“, ohne dass die gewünschten Materialeigenschaften verloren gehen. Und es wäre doch schade, wenn man in Zukunft weiterhin etwas massenhaft entsorgen muss, das den schönen Namen Kunststoff trägt.

Björn Theis ist Zukunftsforscher. Als Mitglied des Foresight-Teams entwickelt er Szenarien zur Spezialchemie von morgen.

Foto: action press
Illustration: Romina Birzer

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