Geoengineering: Wenn Menschen das Wetter steuern

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Niederschläge durch Elektroschocks? Mikroalgen, die Kohlendioxid binden und als Basis für ­Treibstoffe dienen? Derzeit wird intensiv an einer Vielzahl von Geo­engineering-Technologien geforscht, denn sie könnten für die Menschheit überlebenswichtig werden.

ERSCHEINUNGSTERMIN01. April 2022

TextBjörn Theis

Björn Theis leitet die Abteilung Foresight der Evonik-Innovationseinheit Creavis. Seine ELEMENTS-Kolumne erscheint regelmäßig auf elements.evonik.de.

Seit Beginn der industriellen Revolu­tion verändern wir Menschen globale Systeme wie das Klima oder die Erdoberfläche stärker als je zuvor. Wir setzen beispielsweise Treibhausgase frei und bringen menschengemachte langlebige Materialien wie Aluminium oder Kunststoffe in die Umwelt ein. Der Chemiker und Nobelpreisträger Paul Crutzen und der Biologe Eugene Stoermer gaben dem Zeitalter, in dem der Mensch zum größten Einflussfaktor für die Entwicklung der biologischen, ­geologischen und klimatischen Bedingungen der Erde geworden ist, um die Jahrtausendwende einen eigenen Namen: Anthropozän.

Die gravierenden Folgen unseres Tuns beschreibt auch der Weltklimarat der Vereinten Nationen (IPCC). Der Rat stellte im August 2021 einen Bericht vor, der nach Auswertung von rund 14.000 Studien zu dem Schluss kommt, dass der Mensch eindeutig Schuld an dem Klimawandel hat und hierdurch schwere klimatische, wirtschaftliche und soziale Verwerfungen zu erwarten sind. Um dies zu verhindern, müssten nicht nur die Emissionen deutlich reduziert werden, so die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen des IPCC, nötig seien auch Innovationen auf dem Gebiet des Geoengineerings.

KÜHLER DANK REFLEXION

Dieser Begriff bezeichnet Technologien, die einen großräumigen Eingriff in die geo- und biochemischen Kreisläufe der Erde ermöglichen. Schon Crutzen sah die Notwendigkeit für solche Technologien: 2006 schlug er vor, Schwefeldioxid in der Stratosphäre zu verteilen. Dabei, so seine Idee, bilden sich Sulfatpartikel, die groß genug sind, um das Sonnenlicht zu reflektieren und somit die Erderwärmung zu reduzieren. Auf Reflexion setzen auch Forscherinnen und Forscher der Purdue-Universität in den USA, die im vorigen Jahr das weißeste Weiß der Welt präsentierten. Die von ihnen entwickelte Farbe wirft mehr als 98 Prozent des einfallenden Lichts zurück – Dachflächen, die damit gestrichen werden, kühlen ein Gebäude effektiver als stromfressende Klimaanlagen.

GRIFF NACH DEN WOLKEN

Andere Technologien wollen Wolken nutzbar machen. Beim Cloud Seeding etwa wird mithilfe von Flugzeugen, Kanonen oder Raketen meist Silber- oder Kalium­jodid in die Wolken eingebracht. Diese Chemikalien dienen als Kondensations- oder Eiskerne, um Niederschlag einzuleiten. In China ließ man es 2008 mancherorts gezielt regnen, um die Spielstätten der Olympischen Sommerspiele trocken zu halten. In Zukunft möchte man die Wolken gar per Laser oder durch Elektrostöße zum Regnen bringen.

ATMOSPHÄRENPUTZER

Ein weiterer wichtiger Geoengineering-­Ansatz ist die sogenannte Carbon Capture and Utilization. Das Ziel: Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernen. Beim „Direct Air Capture“ wird etwa Luft angesaugt und das CO₂ daraus abgeschieden. Andere Ini­tia­tiven setzen auf Mikroalgen: Das deutsche Start-up Carbon Biotech will sie dazu verwenden, Kohlendioxid auf biologische Weise zu binden und dann in Lebensmittel oder Treibstoffe umzuwandeln. Nach Angaben des Unternehmens ist eine Tonne seiner Spirulina-Bakterien in der Lage, 1,8 Tonnen CO₂ zu absorbieren. Bei Evonik verfolgt das Foresight-Team der Creavis im Rahmen des Fokusthemas „Sustainable Food Futures 2040“ Geoengineering-Ansätze, die bei der Produktion von Lebensmitteln zum Einsatz kommen könnten. Der Creavis-Inkubationscluster Defossilation beschäftigt sich unter anderem mit dem Thema Carbon Capture.

Noch stehen viele dieser Technologien am Anfang. Umwelt-, Energie- und Kosten­effizienz sowie die Auswirkungen eines großflächigen Einsatzes sind noch unklar. Es wird jedoch immer deutlicher, dass sie wohl unverzichtbar sein werden. Und wer weiß, vielleicht gibt es ja eines Tages Sonnenschein oder Schnee auf Knopfdruck – dann stimmen endlich auch alle Wettervorhersagen.

Foto: Getty Images

Illustration: Oriana Fenwick / Kombinatrotweiss mit Fotovorlage von Karsten Bootmann / Evonik Industries

 

Collage von Menschen, Hochhäusern und Seifenblasen

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