Lauren Kjeldsen verantwortet das Programm Circular Plastics bei Evonik.

Lauren Kjeldsen verantwortet das Programm Circular Plastics bei Evonik.

Wenn der Kreis sich schließt

Lesezeit 5 Minuten

Um die Klimaziele zu erreichen, müssen wir den Übergang von einer linearen zu einer zirkulären Wirtschaft schaffen. Branchenübergreifende Kooperationen, Innovationen und kluge politische Entscheidungen sind ebenso gefragt wie ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen Wirtschaft, Umwelt und Lebensqualität. Nur so kann nachhaltiger Erfolg sichergestellt werden.

ERSCHEINUNGSTERMIN23. MÄRZ 2021

VonLauren Kjeldsen

Vor einigen Jahren besuchte ich ein Branchenevent in Europa. Dort wurde ein Foto von einer Mülldeponie gezeigt, auf der sich Unmengen von Matratzen türmten. Dieses erschreckende Bild hat mich nicht mehr losgelassen. Als Chemie­ingenieurin weiß ich, dass solche Materia­lien in dieser Form sehr lange in der Umwelt überdauern – es sei denn, sie werden verbrannt. Zwar wird bei der Müllverbrennung thermische Energie freigesetzt, doch ich bin überzeugt, dass wir auch innovative Lösungen für die Verwertung solcher Materialien finden können. Umso mehr freue ich mich, heute als Verantwortliche unseres globalen Programms Circular Plastics Teil dieser Initiative zu sein. Im Rahmen dieses Programms bündelt Evonik Projekte und Kompetenzen aus allen Unternehmensbereichen, um Zirkularität voranzutreiben.

Die Kreislaufwirtschaft bietet enormes Potenzial. Es wäre doch großartig, wenn wir aus Abfällen wertvolle Rohstoffe wiedergewinnen könnten! Kohlenstoffbasierte Materialien haben wir im Überfluss – unter anderem in Form von CO₂ und den meisten Kunststoffen. In unseren Mülltonnen zu Hause schlummern wertvolle Ressourcen. Dazu kommen entsorgte Altgeräte und ­ausgediente Autos. Wenn wir Materialien am Ende ihrer Nutzungsdauer für andere Zwecke wiederverwerten, können wir den Übergang von der linearen Wirtschaft ­(Herstellung, Nutzung, Entsorgung) zur zirkulären Wirtschaft schaffen. In einer uneingeschränkt funktionierenden Kreislaufwirtschaft könnte weitgehend auf fossile Brennstoffe verzichtet werden, und der CO₂-Ausstoß ließe sich reduzieren.

Der Übergang zu einer kreislauforientierten Wirtschaft ist Teil des European Green Deal. Damit möchte die EU bis 2050 klimaneutral werden und Wirtschaftswachstum durch mehr Nachhaltigkeit erzielen. Auch China wird sein kürzlich verkündetes Ziel einer Klimaneutralität bis 2060 nur mit einer zirkulären Kohlenstoffwirtschaft erreichen können. Die „Circular Economy“ wird eine wichtige Rolle bei der Umsetzung des Pariser Klimaabkommens spielen – der internationalen Klimaschutzvereinbarung, der sich die USA jetzt wieder anschließen.

Damit Zirkularität wirklich funktioniert, müssen vier Faktoren zusammentreffen. Der erste Faktor ist Innovation. Unternehmen wie Evonik leisten hier einen entscheidenden Beitrag. Wir verfügen über die notwendigen Mittel und das Know-how, um neue Recyclingtechnologien für Kunststoffe zu entwickeln. Zweitens brauchen wir einheitliche Wettbewerbsbedingungen. Es darf keine Bevorzugung bestimmter Technologien oder Materialien geben. Wir stehen vor derart massiven und vielfältigen Herausforderungen, dass wir alle verfüg­baren Recyclingverfahren benötigen. Hier sind kluge politische Strategien gefragt. Der dritte Faktor ist eine branchenübergreifende Kooperation. Der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft kann nicht von einzelnen Unternehmen oder einer einzelnen Branche geleistet werden. Alle ­Beteiligten entlang der gesamten Wertschöpfungskette müssen einbezogen werden.

Wir brauchen sowohl mechanisches als auch chemisches Recycling, um unsere ambitionierten politischen Ziele zu erreichen. Grundsätzlich ist keine dieser Technologien der anderen überlegen. Vielmehr ergänzen sie sich.

INNOVATIONEN SENKEN KOSTEN

Viertens geht es um das richtige Gleichgewicht zwischen Mensch, Umwelt und Wirtschaftlichkeit. Wir dürfen uns nicht nur auf einen dieser Aspekte konzentrieren und die anderen ignorieren. Sicher wäre ein Kreislaufsystem wünschenswert, das Lebensqualität ermöglicht und die Umwelt schont, ohne dass wir auf etwas verzichten müssen. Wir müssen abwägen, welche der verfügbaren Lösungen am besten funktioniert.

Wirtschaftlichkeit spielt eine wichtige Rolle. Viele Recyclingverfahren stecken noch in den Kinderschuhen. Sie müssen effizienter werden, um für die Industrie attraktiv zu sein. Solange der Einsatz „neuer“ Kohlenwasserstoffe in Form von Öl, Kohle oder Erdgas billiger ist, werden sich die Recyclingverfahren nicht durchsetzen. Eine kluge politische Strategie muss hier dazu beitragen, diese finanzielle Hürde zu überwinden. Durch Innovationen im Chemiesektor sinken die Kosten. Tatsächlich verlangen unsere Kunden diese Innovationen – und wir liefern sie. Ausgehend von den derzeitigen Ideen aus dem Circular-Plastics-Programm rechnet Evonik ab 2030 mit einem Umsatz­plus von mehr als 350 Millionen ₣ pro Jahr. Und das ist erst der Anfang.

Lauren Kjeldsen verantwortet das Programm Circular Plastics bei Evonik.

Lauren Kjeldsen verantwortet das Programm Circular Plastics bei Evonik.

Zirkularität muss zugleich jedoch auch umweltfreundlich sein. Indem wir Kunststoffen zu einem zweiten Leben verhelfen, werden Verbrennungsvorgänge vermieden und fossile Brennstoffreserven geschont. Wir müssen ausgeklügelte Recyclingmethoden entwickeln, die nicht mehr Energie verbrauchen als die Produktion neuer Materialien. Daher benötigen wir wissenschaftliche Lebens­zyklusanalysen, um die Umweltwirkungen eines Produkts während seiner ­gesamten Lebensdauer zu messen – von der Rohstoffgewinnung über die Fertigung bis zur Auslieferung an den Kunden.

Neben Wirtschaft und Umwelt dürfen wir die gesellschaftlichen Aspekte nicht vergessen. Circular-Economy-Lösungen müssen die Lebensqualität verbessern, und zwar weltweit und auf lange Sicht. Die Kreislaufwirtschaft kann dazu beitragen, Innovationen zu fördern, Arbeitsplätze zu schaffen und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Doch wie steht es um die Prozesse, mit denen Kunststoff zirkulär verwertbar werden soll? Aus den verfügbaren Technologien stechen zwei vielversprechende Methoden hervor, die wir weiterentwickeln müssen: mechanisches Recycling und chemisches Recycling. Beim Stichwort Recycling denken die meisten an alte Plastikflaschen, aus denen neue Flaschen entstehen. Dies ist ein Beispiel für mechanisches Recycling. Die Verarbeitung von Plastikabfällen umfasst zahlreiche Schritte wie das Zermahlen, Waschen, Trennen und Trocknen.

Beim chemischen Recycling wird die Poly­merkette in chemische Grundbausteine sowie Monomere zerlegt, die anschließend wieder als Rohstoffe in chemischen Prozessen zum Einsatz kommen. Mit dieser Re-Methode kann die Qualität der Rezyklate verbessert werden, sodass recycelte Kunststoffe für verschiedene Anwendungen genutzt werden können. In der Spezialchemie könnten wir viele unserer Produkte aus Rohstoffen fertigen, die wir aus Abfällen gewinnen, anstatt auf fossile Rohstoffe zurückzugreifen.

EIN POLITISCHER RAHMEN

Wir brauchen sowohl mechanisches als auch chemisches Recycling, um unsere ambitionierten politischen Ziele zu erreichen. Grundsätzlich ist keine dieser Technologien der anderen überlegen. Vielmehr ergänzen sie sich, weil sie für unterschiedliche Abfallströme geeignet sind. Durch chemisches Recycling könnten bisher nicht recycelte Mischabfallströme der Wiederver­wertung zugeführt werden.

Wir brauchen daher politische Rahmenbedingungen für chemisches Recycling. Der Begriff sollte gesetzlich verankert werden. Außerdem muss das chemische Re­cycling auf die Recyclingquoten der europäischen Länder angerechnet werden können. Wie andere Verwertungsmethoden könnte auch chemisches Recycling einen wertvollen Beitrag zur Schonung fossiler Ressourcen leisten.

Am besten ist es natürlich, Abfall gar nicht erst entstehen zu lassen. Häufig könnten Produkte deutlich länger verwendet werden – unabhängig davon, aus welchem Material sie bestehen. Unsere Spezialchemie trägt dazu bei, dass die Produkte unserer Kunden robuster und beständiger gegen Kratzer, Hitze und Korrosion werden. Auf diese Weise lässt sich ihre Nutzungsdauer verlängern.

Wenn aber Produkte tatsächlich das Ende ihrer Nutzungsdauer erreicht haben, können wir direkt an der Wertschöpfungskette der Kunststoffindustrie ansetzen und den Übergang von einer linearen zu einer zirkulären Wirtschaft ermöglichen. Wenn es um Elemente wie Kohlenstoff und die Entwicklung von Recyclinglösungen geht, ist die chemische Industrie ein Schlüsselsektor. Schließlich ist Chemie unsere Kernkompetenz.

Foto: Harald Reusmann / Evonik

 

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