In den USA steigt der Energieanteil aus Windkraft. Größter Produzent ist der Bundesstaat Texas doch New York möchte nachziehen.

In den USA steigt der Energieanteil aus Windkraft. Größter Produzent ist der Bundesstaat Texas doch New York möchte nachziehen.

Rinder, Öl und Windkraft

Lesezeit 7 Minuten

Der amerikanische Bundesstaat Texas hat sich als größter amerikanischer Produzent von Windenergie ein Stück weit neu erfunden. Der nächste Windturbinen-Boom zeichnet sich aber im Nordosten des Landes ab – vor der Atlantikküste Neuenglands soll der Ausbau von Offshore-Windkraftanlagen erfolgen.

ERSCHEINUNGSTERMIN03. Juni 2022

TextNorbert Kuls

In Texas ist vieles eine Nummer größer. Das Kapitol der Hauptstadt Austin ist fast sechs Meter höher als das Kapitol in Washington, D.C. Texas hat von allen amerikanischen Bundesstaaten die meisten Rinder und produziert auch das meiste Erdöl und Erdgas. Hollywood trug stark zum texanischen Wild-West-Mythos bei und brachte in den 1950er Jahren am Beispiel einer Viehzüchterfamilie auch die Geschichte vom Anfang des großen Ölbooms auf die Leinwand. Der treffende Titel des Films mit James Dean und Elizabeth Taylor: „Giganten“.

Nun wird es Zeit für ein neues Epos. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat Texas nämlich ein neues Wachstumsfeld entdeckt: Windkraft.

TEXAS – GRÖßTER ERZEUGER VON WINDENERGIE DER USA

Der Lone Star State, gemessen an der Landfläche der zweitgrößte US-Bundesstaat nach Alaska, ist zum größten Erzeuger von Windenergie der Vereinigten Staaten geworden. Wäre Texas ein unabhängiges Land, wäre es weltweit der fünftgrößte Produzent von aus Wind gewonnener Energie. Neben Rinderherden, Cowboys, und Bohrtürmen für Erdöl, sind es nun auch gigantische Windräder, mit denen das weite, flache Land im Westen von Texas assoziiert werden muss.

Dabei waren erneuerbare Energien bis in die späten 1990er Jahre im ölreichen Westtexas praktisch unbekannt. „Aber eines Tages kam ein Klient in mein Büro und sagte: ‚Sehen Sie sich das an, jemand hat mir einen Windpachtvertrag gegeben, er will tatsächlich einen Windpark auf meiner Ranch bauen!“, erinnert sich der Rechtsanwalt Roderick Wetsel aus Sweetwater an die Anfänge des Windenergiebooms in dem 10.000-Seelen-Ort dreieinhalb Autostunden westlich von Dallas.

390 Windräder, unter anderem von Siemens, machen den bereits 2007 fertiggestellten Windpark Sweetwater zum fünftgrößten Windpark in Texas. Sowohl Austin als auch San Antonio beziehen ihren Strom von dort.

DER "WILDE WESTEN DES WINDES"

Für viele Rancher, die den Zugang zu ihrem Land an Projektentwickler verkauften, waren die Windfarmen eine neue wirtschaftliche Lebensader. Einige protestierten zwar gegen die Verschandelung der Landschaft, aber die finanziellen Vorteile überwogen. Wetsel, der Texas gerne als „Wilden Westen des Windes“ bezeichnet und seit 2012 das neue Feld Windrecht an der Jurafakultät der University of Texas lehrt, ist einer von vielen, deren Leben sich im wirtschaftsfreundlichen Texas jetzt um erneuerbare Energien dreht. Texas beschäftigt heute 25.000 Menschen in der Windindustrie und erzeugt mehr als ein Viertel der gesamten Windenergie in den USA.

Der Bundesstaat liegt ideal im “Windgürtel“ in der Mitte der Vereinigten Staaten, auf den fast 80 % der aktuellen und geplanten Windenergiekapazitäten des Landes entfallen. Nach Angaben der amerikanischen Energieinformationsbehörde EIA produzierte Texas im Jahr 2020 mehr Strom aus Windkraft als die drei nächstgrößeren Staaten (Iowa, Oklahoma und Kansas) zusammen. Die Kapazität lag bei 30,2 Gigawatt.

Allerdings erzeugt und verbraucht Texas insgesamt mehr Strom als jeder andere Bundesstaat. Der Anteil der Windenergie am Stromerzeugungsmix von Texas liegt nach wie vor knapp unter 20%. In zwei weiteren Bundesstaaten – Iowa und Kansas – ist die Windkraft dagegen schon die wichtigste Quelle für die Stromerzeugung geworden. Dort hatte Windkraft 2019 die CO2 fördernde Ressource Kohle als wichtigste Stromerzeugungsquelle abgelöst.

STROMANTEIL AUS WINDKRAFT STEIGT KONTINUIERLICH

In den Vereinigten Staaten stammten im Jahr 2020 insgesamt 8,4% der kommerziellen Stromerzeugung aus Windkraftanlagen. Nach vorläufigen Schätzungen der EIA wurde 2021 in den Vereinigten Staaten dann eine Rekordmenge an neuer Windkapazität in Betrieb genommen. Die EIA geht daher davon aus, dass der Anteil der Windenergie an der Stromerzeugung in den Vereinigten Staaten im vergangenen Jahr auf 10% gestiegen ist.

In diesem Jahr sollen die Windkraftkapazitäten weiter ausgebaut werden. Auf Windenergie entfallen fast ein Fünftel (17%) aller Kapazitäten, die in diesem Jahr voraussichtlich neu in das amerikanische Stromnetz eingespeist werden. Fast die Hälfte der Kapazitätserweiterungen entfällt allerdings auf Solarenergie, gefolgt von Erdgas mit etwas über einem Fünftel.

Dennoch markierte Windkraft in Amerika am 29. März einen neuen Meilenstein. An diesem Tag wurde nach Angaben der EIA erstmals mehr Strom aus Windkraft gewonnen als aus Kohle und Kernenergie. Knapp ein Fünftel der amerikanischen Stromproduktion entfiel an dem Tag auf Windkraft und nur Erdgas hatte mit fast einem Drittel einen größeren Anteil. Ein Faktor dafür dürften die im Frühjahr typischerweise hohen Windgeschwindigkeiten gewesen sein. Gleichzeitig drosseln Kohle- und Kernkraftwerke in dieser Jahreszeit angesichts des etwas nachlassenden Bedarfs in der Regel ihre Stromproduktion.

NEUE WINDTURBINEN FÜR NEW YORK

Wind als Energiequelle ist nicht nur im amerikanischen Windgürtel ein Thema. Im Februar hat die Bundesregierung sechs Pachtverträge für Offshore-Windkraftanlagen in der New Yorker Bucht, den flachen Gewässern zwischen New Yorks Long Island und New Jersey, an Versorgungsunternehmen und Offshore-Windenenergieentwickler versteigert. Die vorläufigen Gewinner der Auktion boten insgesamt 4,37 Milliarden Dollar. Nach offiziellen Angaben handelt es sich dabei um die höchste jemals gebotene Summe bei einer Versteigerung von Offshore-Pachtverträgen in Amerika – inklusive der Rohstoffe Öl und Gas.

Die amerikanische Innenministerin Deb Haaland wertete das Resultat als Beleg für einen „anhaltenden Enthusiasmus“ für saubere Energien. „Die heutigen Investitionen werden eine wichtige Rolle bei der Umsetzung der Regierungspläne spielen, die Klimakrise zu bewältigen und Tausende von gut bezahlten und gewerkschaftlich organisierten Arbeitsplätzen im ganzen Land zu schaffen“, sagte sie.

Die Gewinner der Auktion können Windparks errichten, die bis zu 7 Gigawatt Energie erzeugen – genug, um 2 Millionen Haushalte mit Strom zu versorgen. Erforderlich wären dafür 600 bis 700 Turbinen. „Wir stehen an einem Wendepunkt für die Entwicklung der heimischen Offshore-Windenergie“, sagte Haaland. „Wir müssen diesen Moment nutzen.“

OFFSHORE-WINDPARKS: LOSLÖSUNG VON ERDGAS UND KOHLE SCHREITET VORAN

Die Ziele gelten als ambitioniert. „In der westlichen Hemisphäre hat es bei Offshore-Windkraft noch nie etwas derartiges gegeben“ sagte Mike Jacobs, Energieanalyst bei der Union of Concerned Scientists. Bis heute gibt es in Amerika nur sieben Offshore-Windturbinen – fünf in einem Windpark vor Rhode Island und zwei weitere, die als Testanlagen in Virginia errichtet wurden.

Die jüngste Versteigerung von Pachtverträgen vor der Atlantikküste im Nordosten ist nur die erste von vielen geplanten Initiativen: Die Regierung Biden hat angekündigt, die Kapazitäten für Offshore-Windenergieerzeugung bis 2030 auf 30 Gigawatt zu steigern – also rund viermal so viel wie im ersten Schritt an der New Yorker Bucht möglich würde. Das ist zwar immer noch ein Bruchteil der rund 1.000 Gigawatt, die Amerikaner jährlich verbrauchen, aber es wäre dennoch ein Beitrag, um den Vereinigten Staaten zu helfen, sich von mit Kohle oder Erdgas betriebenen Kraftwerken zu lösen und damit auch die Entstehung schädlicher Treibhausgase zu reduzieren

Es würde nach Angaben der Regierung bis 2030 auch fast 80.000 Arbeitsplätze im Bereich der Offshore-Windenergie schaffen – fast doppelt so viel wie die Zahl der Kohlearbeitsplätze im Land. Die Projektentwickler müssen sich bemühen, für den Bau ihrer Projekte gewerkschaftlich organisierte Arbeitskräfte einzusetzen und Pläne für den Aufbau einer inländischen Lieferkette vorlegen. Unternehmen, denen es gelingt, wichtige Komponenten im Inland zu beschaffen, kommen für niedrigere Pachtgebühren in Frage.

BAU VON WINDKRAFTANLAGEN: HERAUSFORDERUNGEN UND BEFÜRCHTETE NACHTEILE

Der Plan baut auf den Grundlagen auf, die der amerikanische Präsident Joe Biden mit der Unterzeichnung des Infrastrukturgesetzes im vergangenen November gelegt hat. Bidens Plan läuft allerdings Gefahr zu scheitern, falls die Demokraten die nächsten Präsidentschaftswahlen verlieren. Nach der Versteigerung der Pachtverträge können sich die Genehmigungsverfahren bis zu drei Jahre hinziehen. Der Bau der Turbinen wird weitere zwei Jahre in Anspruch nehmen. Das böte politischen Gegnern mehr als genug Zeit, den Plan zu torpedieren.

Offshore-Windkraft hat Kritiker in Amerika. In Neuengland schlossen sich im Dezember örtliche Fischer mit einer Lobbygruppe der Ölindustrie zusammen, um sich gegen einen geplanten 84-Turbinen-Windpark in den Gewässern vor Cape Cod zu wehren. Eine von der Fischereiindustrie eingereichte Klage ist weiter anhängig. Die Turbinen könnten sich nach Ansicht der Fischer negativ auf das Meeresleben auswirken. Die Fischer befürchten auch, dass die Turbinen das Radar stören und die Sicherheitszonen um die Turbinen sie daran hindern könnten, ihre Fanggebiete zu erreichen.

Damit sind die Herausforderungen noch nicht zu Ende. Selbst wenn die Windturbinen gebaut werden, muss die von ihnen erzeugte Energie transportiert werden. Stromübertragungsleitungen – Hochspannungskabel, die auf Stahlmasten über weite Teile des Landes gespannt sind – werden in der Regel von regionalen Organisationen gebaut, und es gibt möglicherweise nicht genug. Aus diesem Grund sieht das Infrastrukturgesetz Mittel für Übertragungsleitungen vor.

Die Regierung kündigte zudem eine Initiative zum Aufbau eines besseren Stromnetzes an. Unklar ist allerdings, ob der Ausbau der Übertragungsnetze abgeschlossen sein wird bevor sich die ersten Windräder in der New Yorker Bucht drehen.

Foto: Marc Morrison/Redux/laif

 

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