Wirkungsvoller Schutz: Schädlinge, Krankheiten und Klimafolgen können Pflanzen auf dem freien Feld zusetzen und die Erträge reduzieren. Deshalb ist es wichtig, schon den Keimlingen einen guten Start zu verschaffen. Das Beizen – also das Ummanteln mit einer Schutzhülle – der Saatkörner gehört zu den schonendsten Maßnahmen, denn die gezielte Applikation ermöglicht es, die benötigten Wirkstoffmengen auf ein Minimum zu reduzieren.

Wirkungsvoller Schutz: Schädlinge, Krankheiten und Klimafolgen können Pflanzen auf dem freien Feld zusetzen und die Erträge reduzieren. Deshalb ist es wichtig, schon den Keimlingen einen guten Start zu verschaffen. Das Beizen – also das Ummanteln mit einer Schutzhülle – der Saatkörner gehört zu den schonendsten Maßnahmen, denn die gezielte Applikation ermöglicht es, die benötigten Wirkstoffmengen auf ein Minimum zu reduzieren.

Feldforschung

Lesezeit 8 Minuten

Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Landwirtschaft bekommen Bauern neue Verbündete: Mikroben. Sie stärken Pflanzen schon im Saatkorn und schützen später die Keimlinge vor Stress. Damit sie ihre Aufgabe erfüllen können, entwickelt Evonik die passenden Lösungen.

TextBernd Kaltwasser

Enthaltene Medien

Reiner Esser ist Landwirt in zweiter Generation. „Ich habe den Hof vom Vater übernommen, und dann haben wir ihn weiter ausgebaut“, sagt er mit rheinischem Tonfall. Gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Michael Nießen bewirtschaftet er in Horrem bei Köln inzwischen 250 Hektar Fläche. Angebaut werden Weizen, Gerste und Rüben. Esser gehört zu den 93 Prozent der Bauern in Deutschland, die auf konventionelle Weise arbeiten. Was nicht altmodisch bedeutet. „Ich bin fest davon überzeugt: In der Natur liegt unsere Zukunft“, sagt Esser.

Diese Überzeugung teilt der Landwirt mit Evonik-Expertin Ines Ochrombel. Die promovierte Biologin leitet bei Evonik das Programm „Advanced Agro Solutions“. Gemeinsam mit ihrem 13-köpfigen Team sucht Ochrombel nach neuen Wegen, die Pflanzengesundheit mit Lösungen auf biologischer Grundlage zu stärken.

»Mikroben stärken das Wachstum der Wurzeln, begünstigen die Nährstoffaufnahme und verdrängen andere, potenziell pathogene Keime.«

INES OCHROMBEL, LEITERIN DES PROGRAMMS ADVANCED AGRO SOLUTIONS BEI EVONIK

Dieser Ansatz ist im Grunde nicht neu. Von jeher setzen die Menschen auf Hilfe aus der Natur, um ihre Erträge zu verbessern. Früher verließen sie sich dabei häufig auf Erfahrungswissen – wie es zum Beispiel in Bauernregeln weitergegeben wurde. In der modernen Landwirtschaft gelten jedoch höhere Maßstäbe. Heutzutage müssen Landwirte darauf vertrauen können, dass die Lösungen, die sie einsetzen, verlässlich funktionieren. „Das ist eine spannende Herausforderung für das ganze Team“, sagt Ochrombel. Der Anspruch des Evonik-Programms: wissenschaftlich belegte Wirksamkeit. In aufwendigen Tests muss bewiesen werden, dass die neu entwickelten Substanzen und Methoden Landwirten dauerhaft einen Nutzen bieten.

Nachbarschaftshilfe für die Spitzenforschung

An diesem Sommertag ist Ines Ochrombel mit ihrer Kollegin Daniela Kruse zu Besuch bei Reiner Esser, um die Bedürfnisse der modernen Agrarwirtschaft noch besser zu verstehen. Ochrombel stammt aus der Nähe von Essers Hof, der Landwirt unterstützt die Wissenschaftlerin gern. Vor ein paar Monaten hat er schon mit Saatgut für Testreihen ausgeholfen, die in kleinen Mengen schwer aufzutreiben sind. Der Weizen aus Horrem keimt inzwischen in den Laboren am Evonik-Standort Essen Goldschmidtstraße. Die Saatkörner und die daraus sprießenden Keimlinge werden genau untersucht, zusammen mit Mais-, Soja- und weiteren Saaten.

Drei Handlungsfelder stehen im Blickpunkt der Evonik-Wissenschaftler. Sie wollen Wirkstoffformulierungen finden, die für die Behandlung von Saatgut schon vor der Aussaat genutzt werden können. Darüber hinaus suchen sie nach Biostimulanzien, die die Widerstandsfähigkeit und Toleranz der Pflanzen gegen abiotischen Stress wie Hitze, Trockenheit oder Frost stärken und förderlich für die Pflanzengesundheit sind. Und schließlich geht es um die Entwicklung von Substanzen, mit denen sich biologische Wirkstoffe stabilisieren lassen. Denn der beste kleine Helfer aus der Natur hilft nicht, wenn er den Weg oder die Zeit bis zum Einsatz an der Pflanze nicht überlebt.

Eine 2.500 Jahre alte Idee – in die Moderne übertragen

Es gilt, den Pflanzen auf dem freien Feld optimale Wachstumsbedingungen zu verschaffen. Schließlich können ihnen dort bis zu 10.000 Insektenarten, 3.000 verschiedene Fadenwürmer und 50.000 durch Bakterien, Pilze und Viren verursachte Krankheiten zusetzen. Dazu kommt der Klimawandel: Trockenheit, salzige Böden oder Schäden durch erhöhte UV-Strahlung, aber auch Überflutungen schränken das Pflanzenwachstum ein und reduzieren die Erträge.

Umso wichtiger ist es, schon den Keimlingen einen guten Start zu ermöglichen. „Dafür können wir sorgen, indem wir bereits das Saatgut behandeln“, sagt Ochrombel. Die Saatkörner werden mit einer Schutzhülle ummantelt – oder gebeizt, wie Fachleute sagen. Auch diese Idee ist nicht ganz neu: Bereits 450 vor Christus wurde Lauchsaft als Beizmittel verwendet. Ägypter, Griechen und Römer setzten unter anderem auf Oliventrester, Zwiebelsud oder Zypressensaft, um ihre Saaten vor Krankheitserregern zu schützen.

Heutzutage wird vor allem das Saatgut von Getreide, aber auch von Mais, Zuckerrüben oder Raps gebeizt. Allein in Deutschland behandeln rund 1.800 Beizstellen jährlich etwa eine Million Tonnen Getreide. Eine dieser Beizstellen befindet sich auf Essers Hof in Horrem. Eigentlich stünde die Anlage im Sommer still. Doch für die beiden Evonik-Forscherinnen setzt der Landwirt sie in Gang, um den Beizvorgang zu demonstrieren. „An einem Tag können wir ungefähr 25 Tonnen Saatgut behandeln“, sagt Esser. „Das reicht für unseren eigenen Bedarf.“

Michael Nießen arbeitet auf Reiner Essers Hof in Horrem bei Köln. Gemeinsam bewirtschaften sie 250 Hektar Fläche, angebaut werden Weizen, Gerste und Rüben. Auf dem Hof befindet sich eine von rund 1.800 Beizstellen für Saatgut in Deutschland.

Das Beizen von Saatgut gehört zu den schonendsten Maßnahmen, um Pflanzen zu schützen und zu stärken, denn die gezielte Applikation ermöglicht es, die benötigten Wirkstoffmengen auf ein Minimum zu reduzieren. Eine Herausforderung ist die exakte Wirkstoffverteilung. So empfiehlt die Landwirtschaftskammer in Nordrhein-Westfalen, zwischen 250 und 450 Saatkörner Winterweizen je Quadratmeter auszubringen. Das entspricht rund 168 Kilogramm Saatgut je Hektar – oder etwa 3,5 Millionen Weizenkörnern. Diese haben zusammen eine Oberfläche von weniger als 130 Quadratmetern. Auf dieser Oberfläche werden, abhängig vom jeweiligen Produkt, etwa 40 Gramm Wirkstoff verteilt. Das entspricht gerade einmal 12 Mikrogramm je Korn. „Mit den richtigen Additiven und Bindemitteln können wir dafür sorgen, dass die Beize gut und gleichmäßig verteilt am Korn haftet und die darin enthaltenen Wirkstoffe zum richtigen Zeitpunkt freigesetzt werden“, sagt Ochrombel.

Algen und Mikroben für bessere Erträge auf dem Acker

Wie die meisten Landwirte nutzt Reiner Esser bislang ausschließlich chemische Wirkstoffe. Damit bewahrt er sowohl das Saatgut als auch später die wachsenden Pflanzen auf dem Feld vor Krankheiten. Viele Bauern haben jedoch erkannt, dass es nicht ausreicht, Pflanzen bloß vor Krankheiten zu schützen und sie mit Dünger zu versorgen. Gefragt sind Mittel, die zusätzlich gezielt die Widerstandskraft und die Gesundheit der Pflanzen stärken. Hier kommen Biostimulanzien zum Einsatz. „Diese Mittel enthalten meist Aminosäuren, Algenextrakte oder Mikroben“, erläutert Ochrombel. „Mikroben können sich nach dem Keimen beispielsweise an den Wurzeln ansiedeln. Dort stärken sie deren Wachstum, begünstigen die Nährstoffaufnahme und verdrängen andere, potenziell pathogene Keime.“

Biostimulanzien erweitern den Werkzeugkasten moderner Landwirte. Sie verbessern die Düngerausnutzung und die Bodenfruchtbarkeit, mobilisieren Nährstoffe im Boden und binden Stickstoff aus der Umgebungsluft. Zudem stärken sie pflanzliche Abwehrkräfte gegen umweltbedingten Stress.

Die Substanzen werden klassische Pflanzenschutzmittel und Dünger nicht komplett ersetzen, aber es ruhen große Hoffnungen auf ihnen. „Deshalb ist es wichtig, dass wir wissenschaftliche Erkenntnisse zu ihren jeweiligen Wirkmechanismen vorlegen und auch eine verlässliche Wirkung der Formulierung im Feld zeigen“, sagt die Biologin Ochrombel.

Weizensaatgut vor und nach der Beize: Die Saatkörner erhalten eine Hülle, die sie stärkt und später die Keimlinge vor Stress schützt. Dafür ist es wichtig, dass die Beize gleichmäßig am Korn verteilt wird und die darin enthaltenen Wirkstoffe zum richtigen Zeitpunkt freigesetzt werden.

Der Einsatz von Mikroben kann komplex sein, da sie häufig ihre Wirkung in mehreren Schritten entfalten. Schon heute nutzen die Anbieter eine Vielzahl von Bakterienarten sowohl bei der Saatgutbeize als auch auf dem Feld. Einige Beizen enthalten verschiedene Bacillus-Spezies, in Biostimulanzien zur Anwendung auf dem Feld sind Pseudomonas- oder Penicillium-Stämme. „Wir erkunden das Potenzial einzelner Mikroben systematisch im Labor. So können wir genau den Organismus finden, der für ein bestimmtes Saatgut und eine bestimmte Aufgabe am besten geeignet ist“, sagt Ochrombel.

Individuelle Lösungen statt Einheitsprodukte – dieses Konzept überzeugt auch Esser. „Ich kann mir gut vorstellen, künftig verstärkt biologische Mittel zu verwenden“, sagt der Landwirt.

Auf Additive und Trägersubstanzen kommt es an

Noch vertrauen viele Bauern konventionellen Produkten, weil sie biologischen Lösungen, insbesondere solchen mit Mikroben, oft eine unzureichende Wirksamkeit im Vergleich zu chemischen Mitteln zuschreiben. Die Aufgabe für die Forscher ist es daher, ein lagerstabiles Produkt zu entwickeln, welches sich bei seiner Anwendung gleichmäßig verteilt und in der Natur beständig wirkt.

Bereits vor dem Start des „Advanced Agro Solutions“-Programms haben Forscher bei Evonik daher in einem ersten Schritt biokompatible Additive und Trägersubstanzen entwickelt, die Leistungsfähigkeit und Haltbarkeit der mikrobiellen Aktivsubstanzen in der Agraranwendung verbessern. Im Herbst 2019 wurden sie zunächst in Europa und den USA vorgestellt. Seit Kurzem sind sie auch im asiatisch-pazifischen Raum erhältlich.

„Unsere Additive beruhen beispielsweise auf biobasierten und biologisch abbaubaren Polyglycerinestern, die auch für den ökologischen Landbau zugelassen sind“, sagt Daniela Kruse, die das Entwicklungsprogramm für das Geschäftsgebiet Interface & Performance betreute. Auch biologisch abbaubare Stoffe auf Basis von Polyethersiloxanen gehören zur Produktpalette. Wie gut die Produkte wirken, zeigt ein beschleunigter Lagertest. Vier Wochen lang werden die Lösungen mit den Mikroorganismen in einem Wärmeschrank bei 40 Grad Celsius aufbewahrt, vergleichbar einer langen sommerlichen Hitzewelle. In unstabilisierten Lösungen überleben nur ein bis zwei Prozent der enthaltenen mikrobiellen Sporen die Tortur. Wird die Lösung hingegen mit Polyglycerinestern stabilisiert, steigt die Überlebensrate auf bis zu zwölf Prozent, im Falle von Polyethersiloxanen sogar auf 30 bis 40 Prozent.

»Unsere Additive beruhen etwa auf biobasierten und biologisch abbaubaren Polyglycerinestern, die auch für den ökologischen Landbau zugelassen sind.«

DANIELA KRUSE, LEITERIN DER MARKTENTWICKLUNG IM GESCHÄFTSGEBIET INTERFACE & PERFORMANCE BEI EVONIK

Die Additive, die unter dem Namen BREAK-THRU® vermarktet werden, können aber noch mehr. Sie sorgen, je nach Typ, auch für eine gute Benetzung, Haftung und Retention der biobasierten Pflanzenschutzmittel auf den Blättern oder ein gleichmäßiges Eindringen und Verteilen der Wirkstoffe ohne Auswaschung in obere Bodenschichten. „Evonik gehört damit weltweit zu den Pionieren. Ich kenne kein anderes Unternehmen, das eine so umfangreiche Palette an Additiven und Trägerflüssigkeiten für mikrobielle Agrarlösungen anbietet“, sagt Kruse. Dies sei ein kleiner, aber wichtiger Beitrag, um die Erzeugung von gesunden, nachhaltigen Lebensmitteln weiter zu stärken.

Mit Rücksicht auf die Natur genügend Nahrungsmittel produzieren, um selbst davon leben und später den Betrieb in die Hände der nächsten Generation übergeben zu können – dieses Prinzip der Nachhaltigkeit war schon immer eine wichtige Richtschnur für Landwirte. Das gilt auch für Reiner Esser: „Wir Landwirte leben seit je von und mit der Natur.“ Integrierten Pflanzenschutz, Blühstreifen, erweiterte Fruchtfolgen wenden Bauern schon lange an. Mithilfe der Forschungsarbeiten von Evonik können sie künftig auch auf Millionen mikroskopisch kleiner Verbündeter setzen.

Fundierte Regeln für nachhaltige Lebensmittel

Gesunde und nachhaltige Lebensmittel – dafür setzt sich Evonik auch im European Biostimulants Industry Council (EBIC) ein, der europäischen Organisation der Hersteller von Biostimulanzien. Die EBIC trägt zu der Erarbeitung der regulatorischen Rahmenbedingungen bei, um hierdurch einen pan-europäischen Markt für Biostimulanzien zu eröffnen und so diese Lösungen stärker zu etablieren.

 

Bei der EU-Kommission möchte die EBIC die Einbindung von Biostimulanzien als integraler Teil von nachhaltiger Landwirtschaft in die sogenannte Farm-to-Fork-Strategie der Europäischen Union erreichen. Diese Strategie beschäftigt sich im Rahmen des European Green Deal der Europäischen Kommission mit dem Übergang zu einem nachhaltigen Lebensmittelsystem. Das Ziel ist die Mühe wert: Allen Verbrauchern soll der Zugang zu gesunden, nachhaltig erzeugten Lebensmitteln ermöglicht werden.

Fotos und Film: Robert Eikelpoth

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