Ein Reaktor mit guter Energiebilanz

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Reaktionen in der Chemieindustrie verbrauchen üblicherweise große Mengen Energie. Das könnte sich bald ändern. Eine Forschergruppe unter Beteiligung von Evonik-Wissenschaftlern hat ein neues Verfahren entwickelt, das eine bedeutende großtechnische Reaktion um bis zu 70 Prozent energieeffizienter macht.

TEXTNADINE NÖSLER

Enthaltene Medien

Bislang galt es beinahe wie ein Gesetz in der Chemiewirtschaft: Bei katalytischen Reaktionen muss man sich zwischen homogenen und heterogenen Katalysatoren entscheiden. Homogene Katalysatoren sind – im Gegensatz zu heterogenen – im Reaktionsmedium gelöst, reagieren deshalb aktiver und selektiver und arbeiten bei relativ niedrigen Temperaturen. Das Problem: Nach der Reaktion müssen sie in einem zweiten Schritt mit hohem Energieaufwand vom entstandenen Produkt abgetrennt und so zurückgewonnen werden. Trotz der Vorteile der homogenen Katalyse bevorzugen Forscher daher möglichst eine heterogene Alternative. Also einen Katalysator, der als Festkörper vorliegt und sich nicht mit dem Reaktionspartner vermischt. Denn: Der geringere Energieaufwand zur Abtrennung des Katalysators und des Lösungsmittels überwiegt die nachweislichen Vorteile der homogenen Katalyse

Nun hat eine Forschergruppe um den Evonik-Experten Prof. Dr. Robert Franke dieses Problem gelöst und das Beste aus beiden Katalysewelten vereint – indem sie dank eines neuen Reaktorkonzepts die katalytische Reaktion und Abtrennung in einem einzigen Prozessschritt möglich macht. Das Ergebnis: eine Art 2-in-1-Reaktor, der dank des Einsatzes einer Membran besonders energieeffizient arbeitet.

Mit diesem Reaktor will das Forscherteam den Prozess der Hydroformylierung revolutionieren. Dabei handelt es sich um eine großtechnische Reaktion, bei der aus Olefinen und Synthesegas Aldehyde entstehen. Diese dienen als Vorprodukte unter anderem für Alkohole, die in Medikamenten, Waschmitteln, Tensiden oder Weichmachern benötigt werden. Bei der Hydroformylierung entstehen jährlich rund 12 Millionen Tonnen an Produkten.

Prof. Dr. Robert Franke, ROMEO-Projektleiter
Prof. Dr. Robert Franke (l.) ist Projektleiter bei ROMEO und leitet die Hydroformylierungsforschung bei Evonik

LÄNDERÜBERGREIFENDE ZUSAMMENARBEIT

Neun Partner aus Wissenschaft und Industrie haben für die Entwicklung ihre Fähigkeiten im EU-geförderten Projekt „ROMEO“ gebündelt. Der Name steht für „Reactor Optimisation by Membrane Enhanced Operation“. In dem neuen Membranreaktor wird das gewünschte Produkt kontinuierlich aus dem Reaktionsgemisch ausgeschleust. Möglich macht dies eine Membran, die außen auf einen Monolithen angebracht wird. Der Monolith ist eine Art Zylinder, dessen innere Oberfläche mit dem Katalysator belegt ist. Dies führt dazu, dass der Katalysator auf dem Monolithen verbleibt und das Reaktionsprodukt durch die Membran abgetrennt wird. Das erübrigt die energieintensive Aufarbeitung des Reaktionsprodukts in einer Destillationskolonne.

Das Prinzip klingt bestechend einfach, birgt aber zahlreiche Tücken – angefangen bei der Beschaffenheit von Träger, Katalysator und Membran bis hin zum modularen Aufbau des Reaktors, der ein zügiges Upscaling ermöglicht, also die Umsetzung in einer technischen Produktionsanlage. „Um diese Herausforderungen zu bewältigen, mussten wir viele Technologien vereinen“, erklärt Franke, der die Hydroformylierungsforschung im Geschäftsgebiet Performance Intermediates von Evonik leitet. „Daher war es wichtig, Experten aus verschiedenen Gebieten rund um chemische Reaktionen und Reaktortechnologien in einem gemeinsamen Projekt zusammenzubringen.“

Zwei von ihnen sind Prof. Dr. Rasmus Fehrmann von der Technischen Universität Dänemark und Prof. Dr. Peter Wasserscheid, Inhaber des Lehrstuhls für Chemische Reaktionstechnik der Universität Erlangen/Nürnberg. Unter Fehrmanns Leitung hatten sie zusammen mit anderen Forschern bereits 2003 erstmalig gezeigt, wie die Hydroformylierung in einem sogenannten Festbettreaktor mit einem speziellen Katalysator gelingen kann – und dieser sich dennoch nicht im Produkt löst. Die sogenannten Supported-Ionic-Liquid-Phase-Katalysatoren (SILP) sind homogene Katalysatoren, die in gelöster Form auf einen Träger aufgetragen und in dieser festen Form in der Reaktion eingesetzt werden. Auf diese Weise ist der hoch selektive homogene Katalysator „immobilisiert“, also zu einem heterogenen Katalysator geworden.

„Mir war klar, dass ich Fehrmann für die Verbesserung der Hydroformylierung mit ins Boot holen musste“, so Franke. Der dänische Forscher war begeistert, als sich Franke bei ihm meldete: „An der Technischen Universität betreiben wir Grundlagenforschung, wollen damit aber auch in der industriellen Umsetzung etwas verändern“, sagt Fehrmann. „Um die Umsetzbarkeit unserer Erkenntnisse im großen Maßstab zu testen und schließlich auch zu beweisen, brauchen wir aber immer einen starken Partner in der Industrie.“

Monolith ROMEO
Der Monolith ist eine Art Zylinder, dessen innere Oberfläche mit dem Katalysator belegt ist.

BREITE INDUSTRIELLE ANWENDUNG BEWEISEN

Der Weg der SILP-Katalysatoren vom Labor in die industrielle Anlage erforderte weitere umfassende Forschungsarbeiten. Beispielsweise galt es einen geeigneten Träger zu finden. Hierfür boten sich Monolithen der dänischen Firma LiqTech an. „So kamen immer mehr Partner zusammen. Alle waren sich sicher: Hier kann uns eine kleine Revolution für die chemische Verfahrenstechnik und damit ein großer Schritt hin zu nachhaltigeren Prozessen gelingen“, erklärt Franke.

Um ihre Forschung weiter voranzutreiben, bewarben sich die Wissenschaftler bei „Horizon 2020“, dem Rahmenprogramm der Europäischen Union (EU) für Forschung und Innovation. Mit Erfolg: Das Projekt kam auf Anhieb unter die Top-15-Prozent aller eingereichten Projekte – und wurde mit 6 Millionen Euro gefördert. „Das hat uns noch mehr angespornt“, so Franke.

Nachdem die Partner Membran, Katalysator und Trägermaterial im Labor erfolgreich in einem Reaktormodul kombiniert hatten, führten die Evonik-Forscher in der Hydroformylierungs-Miniplant in Marl einen Langzeitversuch über mehr als 5000 Stunden durch. In diesem Versuch konnte unter anderem auch gezeigt werden, dass der Katalysator nach Stillständen seine Funktionstüchtigkeit nicht verliert. Dies war ein wichtiger Meilenstein im Hinblick auf einen großtechnischen Einsatz. „Hier konnten wir zeigen, dass unser Konzept den Energieverbrauch bei Hydroformylierungen um bis zu 70 Prozent senken kann“, so Franke. „Wir haben endlich den Durchbruch geschafft.“ Er geht davon aus, dass der Membranreaktor zu noch größeren Energieeinsparungen in der Lage ist: „Wir fokussieren uns jetzt darauf, die Technik weiterzuentwickeln. Unser Ziel ist der reguläre Einsatz dieser neuen Technik in unserer Produktion.“

Um das Reaktorkonzept in den industriellen Maßstab zu überführen, planen die Forscher einen Reaktor mit 100 Monolithen – statt mit sieben wie in der Pilotanlage. Gelingt dieser Schritt, ist der Einsatz des Konzeptes auch in anderen katalytischen Reaktionen denkbar.

Fotos: Dr. Torsten Stojanik

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