Desinfektion – was ist das?

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Mit der Desinfektion wird totes oder lebendes Material in einen Zustand versetzt, dass es nicht mehr infizieren kann – so heißt es im Deutschen Arzneibuch. Doch was bedeutet das konkret?

TEXTBERND KALTWASSER

Um als Wirkstoff zur Desinfektion geeignet zu sein, muss eine Substanz die Zahl der krankmachenden Erreger in einem definierten Zeitraum soweit verringern, dass die Restkeime nicht mehr pathogen wirken. Die benötigte Einwirkzeit ist dabei üblicherweise definiert als die Zeit, um 99,999 % der Keime zu inaktivieren. Sollen Desinfektionsmittel auf der Haut angewendet werden, müssen sie möglichst gewebeverträglich sein, Flächendesinfektionsmittel dürfen empfindliche Oberflächen nicht beschädigen. Zudem dürfen Desinfektionsmittel nicht zu schwerwiegenden Nebenwirkungen führen, falls sie durch offene Wunden oder die Haut-Resorption in den Organismus gelangen. Die Hautpflege mit einer Handcreme ist in diesem Zusammenhang wichtig, da die Nutzung von Desinfektionsmitteln die Haut mit der Zeit austrocknet und die Haut dadurch empfindlicher wird – auch für Infektionen. Da die Mittel nach ihrer Anwendung letztlich alle in die Umwelt gelangen, ist auch die Umweltverträglichkeit ein wichtiges Kriterium.

Evonik ist einer der führenden Hersteller von Wasserstoffperoxid und Peressigsäure sowie weiteren ausgewählten bioziden Wirkstoffen wie z. B. N-Alkyl-Aminopropyl-Glycin (Handelsname REWOCID® WK 30). Diese Wirkstoffe verleihen den Desinfektionsmitteln ihre Wirkung.

Wirkstoffe für Desinfektionsmittel

Starke Oxidantien wie Wasserstoffperoxid (H2O2) oder Peressigsäure (PAA) werden häufig für die Desinfektion von Oberflächen oder in der Abwasseraufbereitung eingesetzt. Viren, Bakterien und andere Mikroben werden durch unspezifische Wirkmechanismen deaktiviert beziehungsweise abgetötet. Unter anderem durchdringen die Peroxide die Zellhülle von Mikroorganismen und verändern sie, sodass sie ihre Barrierefunktion verliert. Vor allem PAA hat sich als potentes Desinfektionsmittel bewährt. Es kann aufgrund seiner Struktur besonders leicht in die Zellmembran eindringen. Das Erbgut von Bakterien und Viren wird durch PAA irreversibel geschädigt. Resistenzmechanismen gegen PAA sind bisher unbekannt. Dabei sind die Peroxide sehr umweltfreundlich in der Anwendung – schließlich zerfallen sie zu Wasser und Sauerstoff sowie – im Falle von PAA – Essigsäure.

Für die Verwendung als Biozid stellt Evonik verschiedene Wasserstoffperoxid- und Peressigsäureprodukte zur Verfügung. Sie werden unter anderem bei der Desinfektion von Räumen und Oberflächen genutzt. Wasserstoffperoxid kann drüber hinaus auch bei der Wunddesinfektion eingesetzt werden.

Peroxide wirken auch in der aktuellen Corona-Krise: PERACLEAN® 15 wurde gerade von der amerikanischen Zulassungsbehörde EPA als wirksam gegen den Virus Sars-CoV-2 zugelassen. Das ist der Virus, der die Krankheit Covid-19 auslöst.

PERACLEAN® 15 hat auf harten, nicht porösen Oberflächen eine Wirksamkeit gegen Viren gezeigt, die dem SARS-COV-2 ähnlich sind. Daher kann es nach Ansicht der EPA auch gegen SARS-COV-2 verwendet werden, wenn es gemäß den Gebrauchsanweisungen angewendet wird.

Der Aktivstoff N-Alkyl-Aminopropyl-Glycin gehört zur Gruppe der amphoteren Tenside. Diese Moleküle können sich besonders gut an die Membranen von Bakterien anlagern und deren Struktur irreversibel schädigen, so dass sie ihre Barriereeigenschaften verlieren. Tenside lösen auch die Lipide aus der Hülle von behüllten Viren und inaktivieren die Pathogene auf diese Weise. REWOCID® WK 30 von Evonik vereint sowohl reinigende als auch biozide Eigenschaften. Desinfektionsreiniger mit diesem Biozid werden vor allem zur Behandlung von harten Oberflächen eingesetzt.

Chlorhexidin ist ein antiseptischer Wirkstoff, der vor allem gegen Bakterien wirksam ist. Die Effekte des chlorierten Biguanid-Derivats beruhen auf einer Störung der Funktion der Zellmembran. Bei hoher Konzentration wirkt es bakterizid durch strukturelle Beschädigung der Membran, bei geringer Konzentration führt es zum Verlust kleiner Moleküle und zur Ausfällung cytoplasmatischer Proteine, was bakteriostatisch wirkt. Chlorhexidin-haltige Seifen werden beispielsweise in den USA häufig zur hygienischen Handdesinfektion genutzt und ist der klassische Wirkstoff für Mund- und Rachenspülungen. Die WHO führt Chlorhexidin auf ihrer Liste der unentbehrlichen Arzneimittel.

Weit verbreitet sind auch alkoholische Lösungen zur Handdesinfektion. Die darin enthaltenen einwertigen, kurzkettigen Alkohole reagieren unspezifisch mit bakteriellen Proteinen. Behüllte Viren werden zwar konzentrationsabhängig von allen Alkoholen erfasst, Ethanol (2 C-Atome) ist jedoch insbesondere gegenüber unbehüllten Viren wirksamer als die Propanole (3 C-Atome). Die Alkohole entfernen Lipide aus der Virushülle und inaktivieren dadurch die Pathogene. Generell steigt die Wirksamkeit von Alkoholen zwar mit zunehmender Kettenlänge (bis 8 C-Atome), allerdings im umgekehrten Verhältnis zur Verträglichkeit. Alkohole mit mehr als 4 C-Atomen werden daher in der Regel nicht als Inhaltsstoff für Handdesinfektionsmittel verwendet.

ERSCHEINUNGSTERMIN

13. MÄRZ 2020

Desinfektionsmittel sicher anwenden

Nur wenn Desinfektionsmittel bestimmungsgemäß eingesetzt werden, können sie ihre Wirkung optimal entfalten. Verschiedene unabhängige Stellen informieren darüber, welche Desinfektionsmittel sich für welche Anwendung eignen. Damit Desinfektionsmittel ihre Wirkung optimal entfalten können, müssen sie bestimmungsgemäß eingesetzt werden. Das heißt auch, die Mittel nur in der Anwendung zu nutzen, für die sie entwickelt wurden: Mittel zur Wischdesinfektion nur für das Reinigen von Oberflächen und eine Handdesinfektion nur zur Desinfektion der Hände. Wichtig ist in jedem Fall, die zu desinfizierende Fläche vollständig zu benetzen. Die Hersteller geben an, in welcher Konzentration und mit welcher Einwirkzeit ein Produkt eingesetzt werden kann. Diese Vorgaben sollten eingehalten werden, um eine genügende Wirkung zu erzielen und nicht etwa besonders robuste Stämme zu selektieren. Oft weisen gegen Desinfektionsmittel widerstandsfähige Bakterien auch eine erhöhte Antibiotikaresistenz auf.

Desinfektionsmittellisten geben Orientierung

Verschiedene Stellen informieren darüber, welche Desinfektionsmittel und Desinfektionsverfahren es gibt und für welchen Einsatzbereich die Desinfektionsmittel geeignet sind. Auf europäischer Ebene gibt es die Bioziddatenbank der Chemikalienagentur ECHA, in der gemäß den Vorgaben der Biozidverordnung geprüfte und zugelassene Produkte gelistet sind.

In Deutschland pflegt das Robert-Koch-Institut (RKI) als Bundesoberbehörde eine Liste der geprüften und anerkannten Desinfektionsmittel und -verfahren für behördlich angeordnete Desinfektionen im Humanbereich. Für routinemäßige Desinfektionsmaßnahmen im humanmedizinischen Bereich gibt es eine Liste der Desinfektionsmittel-Kommission des Verbundes für Angewandte Hygiene (VAH). Für Desinfektionsmaßnahmen im veterinärmedizinischen und im Lebensmittelbereich gibt die Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft (DVG) entsprechende Listen heraus. Bei den dort aufgeführten Mitteln und Verfahren ist die mikrobiologische Wirksamkeit durch Sachverständigengutachten belegt und von unabhängigen Institutionen bestätigt worden.

Eine weitere Quelle ist der Industrieverband Hygiene und Oberflächenschutz (IHO) im VCI, der ebenfalls eine eigene Liste pflegt und veröffentlicht. Die dort gelisteten Produkte sind nach den Vorgaben der EU-Biozidverordnung geprüft und deren Wirksamkeit daher mit entsprechenden Gutachten belegt. Die gelisteten Biozidprodukte decken den Humanbereich, Veterinärbereich sowie Lebensmittelherstellung ab.

Kontakt für Journalisten:
Jörg Wagner
+49 201 177-3408

Kontakt für Fachpresse:
Yama Olumi
yama.olumi@evonik.com

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