Professor Wai Yee Yeong (42) ist Programmleiterin am Singapore ­Centre for 3D Printing (SC3DP), einem der wichtigsten Forschungs­institute für additive Fertigung in Südostasien. Sie beschäftigt sich seit 2004 mit 3D-Druck und gehört zu den führenden Forschern in diesem Bereich. 2019 hat sie den internationalen TCT Women in 3D Printing Innovator Award gewonnen. Mit dem Preis werden Frauen ausgezeichnet, die Innovationen in 3D-Druck-Technologien vorantreiben.

Professor Wai Yee Yeong (42) ist Programmleiterin am Singapore ­Centre for 3D Printing (SC3DP), einem der wichtigsten Forschungs­institute für additive Fertigung in Südostasien. Sie beschäftigt sich seit 2004 mit 3D-Druck und gehört zu den führenden Forschern in diesem Bereich. 2019 hat sie den internationalen TCT Women in 3D Printing Innovator Award gewonnen. Mit dem Preis werden Frauen ausgezeichnet, die Innovationen in 3D-Druck-Technologien vorantreiben.

Lebensqualität von Patienten verbessern

Lesezeit 5 Minuten

Wai Yee Yeong forscht in Singapur daran, menschliches Gewebe mithilfe von Bioprintern zu produzieren. Das könnte Arzneitests beschleunigen, Tierversuche überflüssig machen – und die Transplantationsmedizin ­revolutionieren.

INTERVIEWCHEERIO CHAN

FOTOGRAFIENORMAN NG

Frau Professor Yeong, Sie befassen sich in Ihrer Forschung mit allen möglichen Arten von 3D-Druck. Was fasziniert Sie gerade am Bioprinting?

Ich möchte Gewebekonstrukte entwickeln, die Organtransplantate von Spendern ersetzen. So können wir die Lebensqualität von Patienten verbessern. Bioprinting macht Tissue Engineering, also die Züchtung von Gewebe, überhaupt erst möglich. Bis es so weit ist, können wir die Technologie für die Herstellung von In-vitro-Modellen nutzen, mit denen die Zahl von Tierversuchen reduziert und die Ergebnisse von Tests zur Erprobung neuer Therapien besser vorhergesagt werden können.

Wie funktioniert die Technik?

Bioprinting ist ein 3D-Druck-Vorgang mit Zellen und Biomaterialien als Tinten. Die Biomaterialien dienen dazu, ein Gerüst aufzubauen. Mit dem Bio­printer sind wir in der Lage, die Ablagerung von Zellen und Biomaterialien punktgenau festzulegen. So können wir eine für das Zellwachstum opti­male 3D-Umgebung entwerfen, neue Strategien für die Kultivierung von unterschiedlichen Zellen und Materialien entwickeln und die Form von Zellkonstrukten beeinflussen.

„Eine der größten Herausforderungen ist die Versorgung mit Nährstoffen.“

Wai Yee Yeong

Welche Organe lassen sich prinzipiell mithilfe von Bioprintern drucken?

In jüngster Zeit habe ich mich bei meiner Forschung auf Haut, Netzhaut und Lunge konzentriert. Außerdem habe ich mit Krankenhäusern an der Entwicklung neuer Lösungen gearbeitet. Dabei ging es unter anderem um die Frage, wie die Bauchspeicheldrüse zu einem besseren Verständnis von Diabetes bei­tragen kann. Bei diesen laufenden Projekten arbeite ich nicht nur mit unterschiedlichen Methoden, ich setze auch unterschiedliche Materialzusammen­setzungen ein.

Eine Lunge aus dem Drucker – das klingt wie Zukunftsmusik. Wie weit ist der Stand der Technik heute?

Wir sind gerade in einer sehr spannenden Phase: Es ist heute schon möglich, zweidimensionales Gewebe wie Haut und dünne, röhrenartige Gebilde zu drucken, die für In-vitro-Tests von Arzneimitteln genutzt werden.

Was sind die größten Hürden bei komplexeren Anwendungen wie Gewebe- oder Organtransplantaten?

Eine der größten Herausforderungen ist die Versorgung mit Nährstoffen. Daher beschäftigen wir uns mit der Züchtung von vaskulärem Gewebe. Angesichts der Auflösung heutiger Bioprinter fangen wir mit kleinen Blutgefäßen an. Außerdem sind bislang nur wenige Materialien verfügbar, die als Tinte genutzt werden können. Beim Bioprinting brauchen wir weiche, gel­artige Materialien, die das Wachstum und die Migration von Zellen fördern. Diese Materialien haben jedoch nicht die nötige Festigkeit, um die gewünschte Form zu halten. Daher müssen wir Strategien zur Ver­besserung der sogenannten mechanischen Festigkeit entwickeln. Zudem benötigen wir Tinten oder Zusatzstoffe aus Biomaterial, die das Zusammenspiel zwischen Wirt und Transplantat fördern, sodass es nach der Transplantation beim Patienten nicht zur Abstoßung des gedruckten Organs kommt.

Multitalent: Yeong beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit den unterschiedlichsten Disziplinen – von der Materialwissenschaft bis hin zur Medizin.

Multitalent: Yeong beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit den unterschiedlichsten Disziplinen – von der Materialwissenschaft bis hin zur Medizin.

»Es ist heute schon möglich, zweidimensionales Gewebe wie Haut zu drucken.«

Wie arbeiten Sie mit Evonik bei diesem Thema zusammen?

Wir haben unter anderem gemeinsam die Betreuung eines Doktoranden übernommen, der sich auf das Thema Biotinte konzentriert. Um größere biologische Konstrukte zu drucken, brauchen wir mehr Auswahl an Tinten mit unterschiedlichen Materialeigenschaften. Für Bioprinting-Techniken mit extrusionsbasierten Verfahren sind intelligente Materialien von Interesse, die auf spezifische Reize reagieren.

Wann werden Sie erste Organe produzieren?

Das wird noch einige Zeit dauern. Wir benötigen eine große Anzahl von Zellen. Dieser Bedarf steigt mit der Größe des Gewebekonstrukts und der Anwendung in größerem Maßstab. Hinzu kommen die Heraus­forderungen und Bedenken bei der Verwendung von Primärzellen, die direkt von Patienten gewonnen werden. Wir prüfen zurzeit die Verwendung sogenannter induzierter pluripotenter (adulter) Stammzellen. Wenn es darum geht, Stammzellen und Bioprinting zusammenzubringen, um gemeinsame Anwendungen beider Bereiche weiterzuentwickeln, befinden wir uns noch in einem frühen Stadium. Eine weitere Herausforderung stellen die Nährstofflösungen dar. Wir ­benötigen „universelle“ Zellkulturmedien, die gedruckte Konstrukte aus mehreren Zelltypen unterstützen. Momentan sind die meisten Zellkulturmedien nur für ein bis zwei Zelltypen optimiert.

ELEMENTS-Reporterin Cheerio Chan (r.) traf Wai Yee Yeong auf dem Campus der Nanyang Technological University.

Werden diese Hindernisse in fünf bis zehn Jahren überwunden sein?

Ich denke, bei der Haut ist das möglich, denn deren Gewebestruktur ist weniger komplex. Das gilt vor allem für Gewebekonstrukte, die nur wenig Unterstützung von den Blutgefäßen brauchen, etwa Hornhaut oder Netzhautschichten. Blutgefäßtransplantate mit großem Durchmesser werden wahrscheinlich ebenfalls verfügbar sein. Bei Organen mit komplexer Struktur und hoher Funktionalität wie etwa der Leber oder Nervengewebe werden wir deutlich mehr biologischen Input brauchen.

Welche Perspektiven geben Sie dem 3D-Druck generell in der Medizin?

Die besten Ergebnisse, die wir momentan erzielen, sind medizinische Produkte aus dem 3D-Drucker. Diese Implantate sind jedoch keine originalgetreuen Nachbildungen des ursprünglichen Gewebes. Ich glaube, dass wir durch Bioprinting die Werkzeuge, Platt­formen und finanziellen Möglichkeiten bekommen werden, um ein echtes biologisches Konstrukt zu züchten, das das ursprüngliche Organ ersetzen kann. Wir wollen auch bionische Organe herstellen, die lebendes und nicht lebendes Material miteinander kombinieren und so vielleicht sogar besser funktionieren als ein rein biologisches Konstrukt.

Warum konzentriert sich in Singapur so viel Know-how im Bioprinting?

Beim 3D-Druck haben wir in Asien und weltweit eine klare Führungsposition. Die Forschung wird von der Regierung stark gefördert – wir haben zum Beispiel eines der am besten ausgestatteten Uni-Forschungs­labore in der Region. Diese starke Basis fügt sich sehr gut in die gesamte Forschungslandschaft in Singapur ein, vor allem im Bereich Biowissenschaften. Wir arbeiten nicht nur mit Hochschulen und Forschungsinstituten zusammen, sondern auch mit Technologie­unternehmen wie Evonik oder HP Inc., um Lösungen zu finden, die die Industrie wirklich braucht.

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